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Der christliche Kreuzraum
V i l l i n g e n
Stadtbaukunst des Mittelalter

 

Titelbild

 

Eine Städtebauliche Analyse der Zähringerstadt

Thomas Hettich

Historische Stadtbildauszüge von Herbert Schroff

"Deshalb kann man Menschen, die uns mit Eifer das Bild einer einzigen Landschaft oder die Anlage einer Stadt, die Größe eines Stromes oder die Schönheit eines Berges schildern,....., die Korykische Grotte oder sonst etwas einzelnes beschreiben, nur bedauern wegen der Beschränktheit ihres Geistes, der vor dem ersten Besten ins Staunen gerät und groß tut bei kleinem Anblick. Doch so geht es ihnen, weil sie das Höhere nicht sehen, ich meine den Kosmos und das Größte in ihm. Wäre ihr Sinn nämlich diesem gehörig zugewandt, würden sie nie etwas anderes bewundern, sondern alles übrige erschiene ihnen klein und wertlos gegenüber seiner Herrlichkeit. So wollen wir von all diesem sprechen und, soweit dies möglich ist, auf Gottes Spuren Wesen, Lage und Bewegung alles dessen betrachten. ...."

Aristoteles

 

INHALTSVERZEICHNIS


Teil 1

· Vorab

· Einleitung

· Wachstum

· Gewachsene Stadtstrukturen

· Gedacht

· Gedachte Stadtstrukturen

· Villingen

· Gewachsen oder Gedacht?

Teil 2

· 817

· 999

· 1800

Teil 3

· Eigentümlichkeiten am Grundriß

· Recht auf Veränderung

· Zusammenfassung

Teil 4

· Nachwort

 

 

Teil 1


Ich beriet mich bei mir selbst

Heraklit


Vorab

Visionen und Ideale gab es zu allen Zeiten. In manchen Zeitaltern waren sie mehr oder weniger ausgeprägt. Heute entscheidet jeder für sich was er zum Ideal erhebt. In erster Linie sind es die materiellen Dinge, die stilisiert und überhöht, ein Ideal bergen und für deren Erhaltung die Vision steht. Dies ist der Fall beim Kauf eines Einfamilienhauses oder eines Auto. So wie es für den Einzelnen Ideale und Visionen gibt, so gibt es sie auch in Institutionen. Die Bundesrepublik hat in den letzten Jahren zwei Bundestagsgebäude umbauen bzw. bauen lassen. Gerade in solchen Repräsentationsgebäuden ist immer eine Vision, ein der Zeit entsprechender Stil des Architekten oder des Bauherrn zu erkennen. Im Bundestagsgebäude in Bonn war es die Vision, dass die Demokratie eine offene und transparente Staatsform sein sollte. Dies wurde versucht durch die Verwendung von Glas für die Außen- und Innenwand. Die Wände wurden damit sinnbildlich aufgelöst und die bauliche Vision einer transparenten und offenen Demokratie sollte Beispiel sein für die darin Tätigen.

Deutscher Bundestag

Für das Reichstagsgebäude (B 1) in Berlin wurde ein internationaler Wettbewerb ausgelobt.

Nach langem Tauziehen wurde entschieden, daß eine Kuppel nach historischem Vorbild gebaut werden soll. Wer in Berlin war, sieht, wie genial der Architekt, diese Aufgabe gelöst hat. Durch die Forderung eine Kuppel zu bauen und damit einen repräsentativen Charakter nach außen zu erhalten, hat er eine zusätzliche Funktion geschaffen, eine Aussichtsplattform, die über zwei wendelförmige Rampen erreicht und wieder verlassen wird. Man kann das Plenum von oben einsehen, gleichzeitig ist es für jeden Bundestagsabgeordneten jederzeit möglich, sein Haupt zu heben, um zu sehen von wem die Staatsgewalt letztendlich ausgeht, nämlich vom Volk, welches immer und zu jeder Zeit über seinen Repräsentanten steht und Aussicht nach neuen Repräsentanten nimmt. Für mich ist diese Kuppel mit ihrer äußeren Wirkung, wie sie von den Repräsentanten des Bundestages gewollt und der inneren Ausformung, wer im Staat letztendlich die Gewalt repräsentiert, ein eindrucksvolles Beispiel eines Ideals und einer Vision, die für jeden erlebbar ist und an die erinnert werden kann. Gerade die Dualität zwischen Außen und Innen, des Hohen und Niederen mit ihrer Gegenläufigkeit ist Ausdruck eines wesentlichen Kerns unserer Demokratie als gebautes Symbol. Gleichzeitig ist es ein Beispiel zwischen der Verbindung von Alt und Neu in der Architektur.

Gebäude wie den Berliner Reichstag, in dem sich die Bevölkerung und deren Vertreter teilweise identifizieren, gibt es in jedem Land, in jeder Stadt oder in jedem Dorf. Die qualitativen Ausprägungen solcher Gebäude sind natürlich unterschiedlich. Ist es in Köln der Dom und in Stuttgart die Staatsgalerie oder der Landtag, so kann es in einem Dorf ein Bauernhof sein, wie in Gütenbach im Schwarzwald der landschaftsprägende Bühlhof. Ein stadtbildprägendes Gebäude war das "Hotel Blume-Post" (B 2) in Villingen. Das Gebäude der "Blume-Post" ist der älteren Bevölkerung Villingens noch gut in Erinnerung. Im Bewußtsein der Bürger ist dieses Gebäude immer noch, denn es steht für den Ersatz des Alten und Neuen und dessen Vergleich hinsichtlich der Bauqualitäten, die zwischen einem Abbruch und des Wiederaufbaus gewählt werden. Der Ersatzbau des Hotel "Blume-Post" ist im Bild (B 3) zu sehen.

Hotel Blume-Post     Neues Kaufhaus

(B 2)                                                                    (B 3)

Wesentlicher Aspekt der beiden Aufnahmen (B2+B3) ist, dass der Komplex, wie er sich heute zeigt, als einzelnes Gebäude in Erscheinung tritt, wobei die ehemalige Teilung, nämlich das "Hofstättenmaß", dieses Straßenabschnittes auf 3 Gebäuden beruhte, nicht mehr zu erkennen ist. Die Ausformung des Ersatzgebäudes führt zu einer Uniformität, da die Fassade nunmehr drei Grundstücksbreiten zu gliedern hat, anstatt dass drei Grundstücke durch verschiedene Architekten überplant und durch Sie überbaut werden. In der Gegenüberstellung (B2 + B3) ist der Unterschied zwischen einer Bebauung nach dem Villinger Hofstättenmaß und einer Bebauung, die dieses Maß nicht berücksichtigt, klar zu erkennen.

Die imposante Erscheinung der Blume-Post in einem der letzten einheitlichen Baustile überdeckt letztendlich die Umwandlung zwischen den von der "Blume-Post" bestehenden Grundstücksgrößen (B 4), wie man sie heute noch in der Niederen- und Bickenstraße (B 5) ablesen kann und dem großen Grundstücksformat, das letztlich zu dem Nachfolgegebäude der "Blume-Post" führte.

(B 4)                                                         (B 5)

Solche Entwicklungen bilden sich in den verschiedensten Facetten in den letzten Jahren an zahlreichen anderen Stadtgrundstücken heraus. Die Zusammenfassung mehrerer Grundstücke führt zu Gebäuden, die maßstäblich nicht in den Stadtgrundriss Villingens passen. Fremde Architekturelemte, modernistisch angehaucht, spiegeln eine fremdartige, statt eindrucksvolle Erscheinung vor. Dachgeschossausbauten mit ihren seriell gefertigten Dachgaupen zerstören die Ruhe der Dachlandschaft Villingens.

Jede Baumeister bzw. Architektengeneration im Verbund mit den Bauherren hat versucht diese Stadt zu gestalten. Renaissancegebäude stehen gleichwertig zu spätbarocken Bauten und Jugendstilhäuser bzw. wechseln mit Gründerzeitobjekten.

Die heutige Architekturszene zu benennen bzw. einzureihen ist schwierig, da sich Stile erst im Rückblick manifestieren, jedoch sind deutliche Spuren persönlicher Stilelemente der Architekten in dieser Stadt zu erkennen. Dies sind erste Anzeichen des neuesten Stiles, des Individualismus. Dass die Architekten sich nicht zu einer einheitlichen Bauweise bzw. einem einheitlichen Umgang verpflichten, ist bedauerlich, denn die mannigfaltigen Ausprägungen der Architekturmoden schaden dem Gesamterscheinungsbild dieser einmaligen Stadtanlage. In diesem Zusammenhang betrachte man den Straßenraum und die begleitenden Hauswände der Brunnenstraße
(B 6 + 6.1) mit der erst vor wenigen Jahren neu gestalteten Hafnergasse (B 7).

Brunnenstraße

(B 6)                                                                   (B 6.1)

Hafnergasse

(B 7)

Hat das Neue die gleiche Seele wie das Alte? Prägt das Neue den Stadtraum im selben Maße wie das über Jahrhunderte bestehende?

In jeder Stadt, in jedem Dorf, ob in einer ausufernden Metropole oder in einem kleinen Weiler im Schwarzwald , werden Gebäude abgebrochen und wieder aufgebaut. Dies ist der Lauf der Zeit und dies muss man auch so vertreten, denn man kann sich nicht gegen dieses Gesetz stellen. Die Frage ist nur: Besteht ein Unterschied, ob die "Blume-Post" abgebrochen wird oder das "Cafe-Wehrle" und welche Diskrepanz ist beim Wiederaufbau der beiden Grundstücke zu erkennen.

Dieses Stadtbild ist immer dann mit dem Prozess des Abbrechens und Wiederaufbauens in Einklang gebracht worden, wenn die Grundstücksgröße gleich groß blieb und die Höhenentwicklung der neuen Gebäude sich an der alten Bausubstanz ausrichtete. Mit der Unzulänglichkeit mancher Gebäude müssen wir zwar leben, jedoch bestand für die Stadt keine wesentliche Einschränkung in ihrem Flair, wenn das Strukturgesetz der Stadt eingehalten wurde. Durch die Höhenentwicklung der Ersatzgebäude und der Überbauung mehrerer Grundstücke, erhält ein Straßenraum jedoch einen gänzlich anderen Charakter.

Die Zusammenfassung von Grundstücken führt zu Großobjekten, die den Maßstab der kleinteilig aufgebauten Stadtstruktur sprengen. Mehrere dieser Großobjekte musste Villingen aufnehmen. Dies führt langfristig zu einem anderen äußeren Erscheinungsbild. Dieses Erscheinungsbild ist an den Gebäuden ablesbar und jedermann kann sich sein Urteil bilden. Am einprägsamsten ist dieser Prozess an der Färberstrasse 3-9 abzulesen. Hier wird eine Wand durch aufgemalte Hausbreiten kaschiert. Oder sollen es Hausfassaden sein?

Diese Entwicklung, die sich in Villingen zur Zeit darstellt, hängt nach meiner Überzeugung mit sogenannten Forschungsergebnissen zusammen, die seit rund 30 Jahren der Fachliteratur zu entnehmen sind, dass Villingen nicht gegründet wurde und somit auch auf keinem Plan beruhe. Vielmehr seien es zwei Stadtanlagen gewesen, die sich zeitlich versetzt zu einer ergeben hätten.

Die Komplexität und gleichzeitige Einfachheit der Villinger Stadtstruktur wächst nach meiner Überzeugung nicht zu dieser Form heran. Zeitliche Unterschiede oder Änderungen eines möglichen ursprünglichen Planes sind nur im Rahmen der Bauzeit der Gesamtanlage denkbar, die zeitlich eng begrenzt war.

Villingen ist nicht eine von vielen mittelalterlichen gewachsenen Stadtstrukturen. Sie repräsentiert die Stadtbaukunst des Mittelalters. So wie die orthogonalen amerikanischen Stadtstrukturen von einer Stadt zur anderen weiter gegeben wurden, so hat Villingen seine innere Struktur zahlreichen Gründungsstädten aus dem Jahre 1000 weitergegeben, denn nur Villingen besitzt die beiden wesentlichen gedachten Merkmale, die auch ein Teil der Zähringerstädte ausmachen, nämlich das Straßenkreuz und das Parallelstraßensystem. Villingen ist ein städtebaulicher Kristall, dessen Ecken und Rundungen schon schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde, jedoch immer noch erkennbar sind. Eine Stadt aber, mit der man pfleglich umgehen sollte und in der jeder, der hier plant und baut, auch weiß, auf was er sich einläßt, denn jedes neue Bauwerk ist ein Eingriff in eine der bedeutendsten Stadtanlagen des Mittelalters.

Der Unterschied zwischen einer gedachten und einer bislang postulierten gewachsenen Stadtentwicklung für Villingen, dies will diese Arbeit aufzeigen.


Betrachte mit Verständnis das Abwesende als genauso zuverlässig anwesend (wie das Anwesende): denn nicht wird das Verständnis das Seiende vom Seienden abschneiden, von seinem Zusammenhang, wie es sich gehört, weder als ein sich überallhin gänzlich Zerstreuendes noch als ein sich Zusammenballendes.

Parmenides

Einleitung

Meine Schrift " Die Chance des Niederen Tores" trug den Untertitel "Eine städtebauliche Analyse an der Nahtstelle zwischen einer gedachten und einer gewachsenen Stadtstruktur" (1).

Ich war damals überzeugt, dass die historische Stadt Villingen eine gedachte Stadtstruktur besitzt. Diese Stadt musste von jemandem entworfen und nach diesem Entwurf in den wesentlichen Zügen umgesetzt und gebaut worden sein.

Durch meine Arbeit mit diesem Thema kamen mir erste Zweifel, denn nicht unwesentliche Zeitgenossen waren hier offensichtlich anderer Meinung bzw. es wurde so formuliert, dass man für Villingen eine gewachsene Struktur postulierte, ihr damit aber jegliche Einmaligkeit raubte.

Zweifel bekam ich durch die Darstellungen von Jenisch, einem der archäologischen Kenner der Villinger Stadtgeschichte. Jenisch schreibt in seiner Dissertation über Villingen, dass "auf dem Hintergrund dieses durch archäologisch-historische Untersuchungen nachgewiesenen Siedlungsablaufs ist es im Grunde müßig, nach der Gründung Villingens zu fragen. Es wird vielmehr deutlich, daß dieser sich über mehrere Generationen erstreckende Prozess auf keinen einzelnen Gründer zurückzuführen ist,..."(2). Wenn es auf keinen Gründer zurückzuführen ist, wird damit auch gleichzeitig ausgeschlossen, dass Villingen auf einem Plan beruht bzw. nach einem Plan gebaut wurde.

In "Menschen, Mächte, Märkte" äußert sich Frau Monika Spicker-Beck sich berufend auf Meckseper: "Seine Auswertung der Grabungsergebnisse bestätigte die bis dahin noch ohne archäologische Grundlage in den Raum gestellte Vermutung einer Mehrphasigkeit der Stadtentwicklung. Auf der Basis des neuesten Forschungsstandes können wir die Frage nach dem exakten Gründungsdatum der Stadt heute gelassener angehen: sie erscheint geradezu obsolet. Nicht ein einmaliger Akt, ein richtiges Datum, nicht eine einzelne Person, ein Gründer ist zu ermitteln, sondern die Entstehung und Entwicklung der Stadt als ein Prozeß von langer Dauer ist zu betrachten. (3)

Jürgen Treffeisen aus Freiburg ist der Ansicht: "Der Grundriß einer mittelalterlichen Stadt entsprang nicht der Idee eines Stadtgründers." Außerdem hält er das Straßenkreuz von Villingen für eine Legende, dahingehend, dass sich dieses Kreuz aufgrund eines Straßenmarktes entwickelt habe. (4)

Herrmann Preiser stellt im Jahresheft 1977 des Geschichts- und Heimatvereins Villingen fest, daß der ehemalige Stadtarchivar als erster nachgewiesen hat, dass die Stadt Villingen nicht in einem Zuge, sondern in zwei Etappen erbaut worden ist, wobei die nördliche Hälfte der ältere Stadtteil ist. (5)

Im Ortskernatlas des Landesdenkmalamtes wird angeführt. "Wie für Freiburg, so ist auch für Villingen, ungeachtet des überaus klaren Grundrisses von einer längeren Ausbauzeit der Stadt auszugehen: entgegen der von Hamm vorgehobenen Schöpfung der Grundrissfigur des Zähringerkreuzes in Villingen hat Mekseper auf Anzeichen verwiesen, die hier eine Entwicklung auf der Grundlage einer einfachen Marktstraße nahelegen."(6)

Mekseper schreibt: "Die hier vorgelegten Daten stehen mit unseren stadtbaugeschichtlichen Überlegungen nicht im Widerspruch. Denkbar wäre eine erste Gründung der Stadt 1119, die möglicherweise zunächst nur eine kleine, einen einfachen Straßenmarkt umschließende Siedlung war. Diese wäre unter Berthold dem vierten zu einer größeren Stadt ausgebaut worden, die den von uns als das geostete Richtungssystem bezeichneten Bereich im nördlichen Teil der heutigen Stadt eingeschlossen hätte. Der zweite große Ausbau mit dem Wohn und Wirtschaftsgassensystem könnte zu der Zeit stehen, in der Villingen staufische Reichsstadt war, also gleich nach 1218." Und weiter: "Neben Lokalpatriotismus mag dabei die reizvolle Vorstellung ausschlaggebend gewesen sein, bereits den Beginn des Zähringer Städtewesens mit einem klar ausgeprägten Stadttyp eröffnen zu können."(7)

Ein weiterer Anlass meine Auffassung nochmals zu überdenken, war ein Schriftwechsel mit einem der profiliertesten und anerkanntesten Architekten und Preisrichter in Deutschland. In einem Antwortschreiben auf meine städtebauliche Untersuchung schreibt er. "Die Stadt hat sich natürlich auch weiterentwickelt und hat ein Recht auf Veränderung". Hatte die Stadt Villingen wirklich das Recht auf Veränderung und auf Weiterentwicklung, indem eine Gesamtanlage zerstört wurde? Solche Sätze werden nicht nur im 20. Jahrhundert formuliert, sondern sie werden immer dann angewendet, wenn Veränderungen anstehen, wenn die berechtigten Interessen des Neuen auf das bewahrende Alte stoßen. Versetzen wir uns in das Jahr 1800, in dem Jahre in dem die Stadt Villingen noch als vollkommenes Gebilde bestand: Das Niedere Tor, die den Türmen vorgelagerten Erker, die Wallanlage, das Bachsystem, die Kornspeicher etc.- dies alles wäre noch vorhanden. Hatte die Stadt Villingen wirklich das Recht eine solche "Weiterentwicklung" voranzutreiben und auf diese markanten Gebäude und städtebaulichen Elemente zu verzichten? Solche "Entwicklungen" sind übrigens auch heute abzulesen.

Ist es wirklich müßig sich nach der Gründung Villingens zu fragen? Oder obsolet, nach einem einmaligen Akt, nach einem Gründer, der diese Stadt ins Leben rief, zu suchen. Woher kam dieser Stadtgrundriss? Aus dem Nichts? Entwickelte sich diese Stadt aus einem Straßenmarkt, wenn die "Alte Stadt" 1 Kilometer entfernt war und die Menschen dort ihre Waren kaufen konnten. Gab es wirklich eine Mehrphasigkeit von langer Dauer, die diese Stadt zu dem werden ließ, wie wir Sie heute noch kennen. Oder ist eine solch lange Dauer und eine Mehrphasigkeit mit der Stadtgestalt bzw.- form gänzlich unvereinbar. Hat eine einmalige Stadt wie Villingen wirklich das Recht auf eine Veränderung, die das Ganze nur noch teilweise erkennen läßt. Wesentliche Teile werden der Spitzhacke geopfert und damit wird die Stadt immer mehr ihrer Identität beraubt.

Bei einer Veranstaltung anläßlich der Tausendjahr-Feier erläuterte ein bundesweit bekannter Stadtplaner Zähringerstädte, unter anderem auch Villingen. Die Diskussion zwischen dem vortragenden Stadtplaner und den anwesenden Archäologen und Denkmalpflegern gab Anlass zum Nachdenken, denn gerade hier kam die Diskrepanz zwischen den Anhängern der gewachsenen und der gedachten Stadtstruktur sehr deutlich zum Ausdruck.

Der Erste, der Villingen als Planstadt beschrieben hat, war Ernst Hamm aus Freiburg, ein Architekt. Er führte den Stadtgrundriss Villingens auf einen idealisierten Plan zurück. Er stellte die baulichen Merkmale wie Hauptstraßenkreuz, Hofstätteneinteilung, Traufstellung der Häuser, Marktlage etc. zusammen, die als zähringertypisch anzusehen und auf römischen Ursprung zurückzuführen sind
(B 8).

(B 8)

Im Buch "Die Entdeckung der mittelalterlichen Stadtplanung" (8) wird eine Möglichkeit vorgestellt, wie man Villingen geplant haben könnte. Dabei wird eine Standardkonstruktion vorgestellt : Den "Campus Initialis". Die Verfasser versuchen auf 15 Zeichnungen nachzuweisen, dass der Grundriss Villingens, so wie er heute existiert, also einschließlich seiner Eigentümlichkeiten, geplant ist.

Zur Planung bzw. Absteckung des Stadtgrundrisses wählte der damalige Planer laut Ansicht der Verfasser des obigen Buches eine Diagonale, die mittels der Thaleskonstruktion zu einem Rechteck konstruiert wird. Das Rechteck bildet den sogenannten"Campus Initialis", so die Verfasser. (B 9)

Campus Initialis

(B 9)

Betrachten wir den "Campus Initialis" und dessen Diagonalenmittelpunkt, so fällt auf , dass er sich zum Grundriss der Stadt asymmetrisch verhält. Die Niederestrasse liegt nicht auf dem Mittelpunkt des Rechteckes. Die Rietstrasse- Bickenstrasse ist schiefwinklig zur kürzeren Seite des "Campus Initialis".

Daraus ergeben sich folgende Fragen: Hat man in der damaligen Zeit wirklich asymmetrisch geplant? Wurde die Schiefwinkligkeit in der Nordstadt geplant? Ist damit die Dekonstruktion schon im Jahr 1000 vorweggenommen?

Die Vorgehensweisen durch Ernst Hamm (Idealplan) und durch die Verfasser des Buches "Die Entdeckung der mittelalterlichen Stadtplanung" (Campus Initialis) hinsichtlich des planerischen Nachweises lassen sich vereinfacht darstellen, indem man aus der Vergangenheit zur Gegenwart schaut. Jeder wählt einen Anfang, z.B. eine Vermessungsdiagonale oder einen Idealplan, die der Planer aus der Vergangenheit benutzt haben soll, und möchte anhand dieser Anfangsbedingung diese Stadtstruktur mittels diversen Überlegungen beweisen.

Die von mir gewählte Vorgehensweise ist eine andere. Ich hatte die Idee, dass sich die um Villingen bestehenden Ortschaften mit Villingen baulich entwickelt haben und dass sich daraus Gesetzmäßigkeiten ableiten ließen, mit denen man eventuell beweisen konnte, ob Villingen eine geplante oder gewachsene Stadtstruktur besitzt. Gerade die Anfangsbedingungen und die dadurch sich zeigenden strukturellen Ergebnisse sollten dabei von besonderer Bedeutung sein. Die von mir gewählte Vorgehensweise zu einem Beweis für die Stadtstruktur ist, dass ich die Ortschaften, die nachweislich in einer Urkunde von 817 erwähnt sind, in ihrer stadtstrukturellen Entwicklung von 817 bis ins Jahr 2001 miteinander verglichen habe. Die sich ergebenden Stadt- Dorfgeometrien werden dann mit den Geometrien nachweislich geplanter Städte gegenübergestellt. Zum Schluss wird versucht Villingen einer der beiden Stadtstrukturen zuzuordnen. Ob ein mathematisch- geometrischer Beweis oder nur eine Wahrscheinlichkeit die Bauform Villingens erklärt, dies wird am Ende der Schrift aufgezeigt. Die Stadtstrukturen in der Gegenwart zu untersuchen, halte ich für glaubwürdiger für die Städte, aus denen keine Gründungsaktunterlagen oder keine Zeichnungen vorhanden sind, und zwar nur aufgrund ihrer baulichen Entwicklung.

Die Untersuchung der Stadtstruktur in der Gegenwart mit gleichzeitigem Wissen, dass die miteinander verglichenen Stadtstrukturen gleich alt sind und sich strukturell aus der gleichen Zeit entwickelt haben, hat eine, nach meiner Auffassung, hohe Beweiskraft, ob es sich bei Villingen um eine gedachte oder geplante Stadtstruktur handelt.

Der Umgang mit dem Recht der Veränderung und der Weiterentwicklung ist in einer gewachsenen Struktur sicherlich einfacher (Paris-Haussmann) wie in einer gedachten Struktur, insbesondere dann, wenn es sich um einmalige Ereignisse und damit verbunden, um eine einmalige Stadtanlage handelt, die es wieder herzustellen und zu bewahren gilt.

Die bauliche Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte in der Villinger Innenstadt, aber auch der planerische Umgang mit diesem Erbe haben mich veranlaßt, darüber nachzudenken. Die Flächensanierung im zentralen Quartier der Villinger Innenstadt (Rietstraße 5) vergleichbar mit den Flächensanierungen der 60-er und 70-er Jahre waren für mich der letzte Anstoß.

Ein letztendlicher Beweis für die ursprüngliche Villinger Stadtgestalt wäre nur dann möglich, wenn die Gesamtanlage abgerissen wird, um die ursprüngliche Bausubstanz analysieren zu können. So ist zu erklären, dass in den letzten Jahren erhaltenswerte Gebäude abgebrochen wurden. Alte Gebäude sind der Spitzhacke preisgegeben worden, ohne zu wissen, welche neuen Gebäude im qualitativen Vergleich zu sanierten alten Gebäude entstehen.

Die Form eines jeden Teiles von Materie, ob lebend oder tot, und die Formänderungen, die durch seine Bewegungen und sein Wachstum in Erscheinung treten, kann also in allen Fällen gleichermaßen als Einwirkung von Kraft bezeichnet werden.

D`Àrcy Thompson


Wachstum

Wachstum ist mannigfaltig auf dieser Welt und überall sehen wir dieses Wachstum anhand von Formen und Strukturen. Ein Mensch wird gezeugt, geboren wird zum Kind und Jugendlichen, zum Erwachsenen, bis er als Greis/in stirbt. So ist der Kreislauf der Natur, ob im Menschen -, Tier - oder Pflanzenreich. In jeder zeitlichen Phase des Wachstums ergeben sich andere Formen und Strukturen. Der Mensch lebt im Schnitt 75 Jahre und durchläuft verschiedene Formphasen, bis er letztendlich in den mysteriösen Kreislauf übergeht. Diese Formänderungen kann man gut an sich selbst beobachten. Die Formänderung im Alltag ist uns jedoch nicht so bewusst. Wenn diese Formänderung uns mit unserem Alter nicht alltäglich bewusst ist, wie wirkt dann eine Formänderung innerhalb einer Stadt auf uns, da sie ja eine viel längere Lebensdauer besitzt.

Die Gesetze der Physik und der Evolution weisen auf einen Anfang, an dem die Vielfalt der Formen und Strukturen begannen. Die Physiker sind mit ihren Berechnungen noch
10 hoch -43 Sekunden vom Beginn des Universums entfernt. Ob an diesem Punkt, dem Urknall, etwas gedacht wurde oder ob alles sich aus sich heraus entwickelte, ist noch umstritten. Und doch beruhen die Menschen- Tier- und Pflanzenformen (B 10) auf einem Plan, einem Gesetz, das sich immer wiederholt, mit äußerst kleinen Varianten, die evolutionär wirken.

Baum

(B 10)

Auch eine Stadt hat einen Anfang. Beginnt dieser Anfang mit einem Plan nachdem diese Stadt Zug um Zug gebaut wird, oder beginnt diese Stadt mit einem Haus, zu dem sich immer weitere Häuser über einen langen Zeitraum hinzufügen.

Wie nahe man an den Beginn einer Stadtstruktur, also dem Zeitpunkt des Planungsaktes etc., hinführen muss ist nach meiner Auffassung unerheblich. Es gilt zu unterscheiden, ob etwas durch Menschen gedacht und entworfen und vor allen Dingen danach gebaut wurde und sich über 1000 Jahre in den wesentlichen Zügen erhalten hat, oder ob sich etwas baulich ergeben hat im Laufe der Jahrhunderte. Es geht nicht um den zeitlichen Beginn, sondern um den Anfang, die Anfangsbedingungen des Beginns einer Stadtentwicklung. Wie die Stadt sich formt und strukturiert, was für Wege, Straßen und Räume sich bilden, ist von Bedeutung. Gibt es auch in den gewachsenen Stadtstrukturen Gesetzmäßigkeiten, die es zu entdecken gilt und die auf Unterschiede einer gedachten und gewachsenen Stadtstruktur hinweisen. Die Verfasser der <Entdeckung der Mittelalterlichen Stadtplanung> sind der Auffassung, dass " das Grundrissbild der gewachsenen Stadt keinerlei geometrische Strukturen zeigt."


Eine der Freuden des Lebens ist die Entdeckung und Wiederentdeckung von Zeichen der Schönheit in der Natur. Wenn man beispielsweise einen Kohlkopf aufschneidet oder eine Orange, die Formen von Muscheln oder die Flügel von Schmetterlingen betrachtet, werden diese Muster offenbar. Nicht allein wegen ihrer Schönheit sind diese Bilder anziehend, sondern auch weil sie die Vorstellung von einer Ordnung hervorrufen. Welche Bedeutung hat das Dasein einer solchen Ordnung.....?

György Doczi


Gewachsene Stadtstrukturen

So wie ein Backstein zum Anderen zu einer Wand und letztendlich zu einem Haus führen, so stellt sich ein Haus zum Anderen und führt zu einem kleinen Ortsetter, hin zu einem kleinen Dorf oder einer Stadt. Der Entwicklungsprozess ist unterschiedlich in seiner zeitlichen Ausprägung. Die Struktur dieses Dorfes oder dieser Stadt ergibt sich. Gibt es für solche Stadtstrukturen auch Gesetzmäßigkeiten?

Die überwiegende Zahl unserer Dörfer und Städte sind gewachsene Strukturen. Dies kann man betrachten anhand einer topografischen Karte. Diese gewachsenen Strukturen haben Gesetzmäßigkeiten, die auch wissenschaftlich (9) untersucht wurden und die man als Minimalnetze (B 11) bezeichnet.

Minimalnetze

(B 11)

Ein schöner Vergleich aus dem Alltag sind mehrere aneinanderklebende Seifenblasen, z.B. Badeschaum, die in ihrer zweidimensionalen Ränderdarstellung diese Minimalnetze darstellen. Innerhalb dieser Netze bilden sich Knoten, deren Linien in einem Winkel von rund 120 Grad aufeinander stehen. Überall dort in den Dörfern und Städten, in denen wir solche 3-Wege-Knoten entdecken, können wir auf gewachsene Stadtstrukturen schließen. In ihrer eindeutigen Ausprägung sind diese städtischen Wachstumsformen selten vorhanden, da sie in erster Linie durch Randbedingungen überlagert werden die der reinen städtischen Wachstumsform entgegenstehen. Hierbei spielt die Topographie eine wesentliche Rolle.

Wesentliches Merkmal ist wie oben geschildert der 3- Wege- Knoten. Diese Art von städtebaulicher Entwicklungsstruktur nennt man gewachsen, überprüfbar an einer topografischen Karte. In vielen Dörfern ist eine solche gewachsene Struktur zu finden. Dorfchroniken und darin enthaltene alte Stadtpläne zeigen wie in einem Zeitraffer auf, wie sich dieses Dorf entwickelt hat und gegebenenfalls zu einer Stadt wurde.

Da sich gewachsene Stadtstrukturen in erster Linie aus Minimalnetzen entwickeln, die wiederum auf dem Dreiwegeknoten zurückzuführen sind, ist man geneigt, diese als Nichtgeometrisch zu behandeln und diese Form des sich bildenden Wegenetzes als nicht rational anzusehen. Die Chaostheorie hat jedoch aufgezeigt, dass Bifurkationsdiagramme (B 12) Ähnlichkeiten mit diesen gewachsenen Wegenetzen darstellen. Das Gleiche gilt für die Kochkurve mit der man die Randbereiche einer solchen gewachsenen Stadtstruktur vergleichen kann.

     

(B 12)                                             (B 13)

Ein physikalisches Beispiel der Chaostheorie wäre eine brennende Zigarette (B 13). Hält man eine brennende Zigarette vor sich und beobachtet den aufsteigenden Rauch, so erkennt man zwei Formen des Rauches. Ein gerader Rauchstrom, der von der Glut aufsteigt, je nach äußerem Einfluß sich hin- und herbewegt und plötzlich abreißt und sich kräuselnd auflöst. Genau dieser Übergang von einem einigermaßen geordnetem Verhalten in ein chaotisches, irrationales Verhalten ist mit Grundlage der Chaosforschung. Die Energieminderung ist für dieses chaotische Verhalten wahrscheinlich mitverantwortlich. Trifft dies auch für gewachsene Stadtstrukturen zu? Je weniger Energie, je weniger Einsatz, je weniger Planungsinhalt etc. führt dies zu gewachsenen, chaotischen Stadtstrukturen. Wählt die wachsende Stadt wie beim Gesetz der Entropie den Zustand größerer Unordnung, nämlich den einfachsten Weg. Führt mangelnde menschliche Energie und damit Aufwand und Geld bzw. Einsatz für ein ordnendes Stadtgefüge zu diesen gewachsenen Stadtstrukturen, weil Ordnung immer ein gewisses Maß an Energie verlangt.

Es gibt ein schönes Zitat, das die Entwicklung einer gewachsenen Struktur, aber auch, vielleicht noch deutlicher, einer gedachten Stadtstruktur beschreibt. " Auf den Karten sehen wir mannigfach Grenzen, weil Herrschaften eben auf Grenzen bedacht sind. Aber den Untertanen waren immer schon die Wege wichtiger, die zueinander führten." (G. Gebauer). Wenn wir uns die Stadtgrundrisse der beiden Teilstädte Villingen und Schwenningen betrachten und darüber nachdenken, ob es Unterschiede in den Wege- und Grenzstrukturen gibt, dann erkennen wir, wo geherrscht und anfangs gedacht wurde.

In der Urkunde des Kaiser Ludwig I. von 817 wird Villingen erstmals genannt. Mit dieser Urkunde übertrug der Kaiser Zins-, Tribut- und sonstigen Einnahmen aus 47 Hofgütern (Mansen), die bisher 7 Grafen zustanden, dem Kloster St. Gallen.

Nach Auffassung der Villinger Geschichtsschreibung handelt es sich bei Villingen von 817 um das Villingen, welches beim heutigen Friedhof als "Alt-Villingen" in den Geschichtsbüchern beschrieben und in alten Karten und Plänen vermerkt wird. Welche Stadt- Dorfstruktur dieses "Alt- Villingen" besaß, wissen wir heute nicht mehr, da nur noch Teile der Altstadtkirche vorhanden sind.

Die Tatsache jedoch, dass das "Alt- Villingen" nicht mehr vorhanden ist und ein anderes Villingen gebaut wurde, ist zur Gegenüberstellung der verschiedenen Stadtstrukturen bedeutend. "Alt-Villingen" ist in diesem Zusammenhang insofern interessant, weil es diesen Ort nicht mehr gibt. Dafür gibt es jedoch noch alle die Ortschaften und Dörfer, die in der Urkunde von 817 mit Villingen zusammen genannt werden.

Die Orte heißen: Hondingen, Klengen, Bissingen, Schörzingen, Schwenningen, Weilersbach, Tuningen, Nordstetten, Pfohren, Spaichingen, Tannheim, Thalhausen, Heimbach, Buchheim, Stetten, Markdorf, Fischbach, Kluftern, Hütwilen, Kesswil, Landschlacht, Zihlschlacht, Ifwil und Tänikon.

Da keine Pläne aus dem Jahr 817 bekannt sind, müssen wir aufzeigen, wie sich diese Orte strukturell entwickelt haben. Anhand dieser Entwicklungsformen und Strukturen sind dann in einem Verhältnis von 1/24 Sicherheiten abzuleiten, zwischen den untersuchten strukturellen Entwicklungen der Ortschaften und der heutigen Stadtstruktur von Villingen. Diese 24 Ortschaften haben sich mit Villingen entwickelt und um das Jahr 1000 wurde "Alt- Villingen" aufgegeben. Ob das uns heute bekannte Villingen eine andere Entwicklungsstruktur besitzt wie die 24 untersuchten Ortschaften, will diese Schrift aufzeigen. Zur Untersuchung dieser Stadtund Dorfstrukturen dient in erster Linie das Wege- und Straßennetz und die äußere Form, welche sich über die Jahrhunderte entwickelt hat bzw. konstant blieb. Würden wir die Orte und Dörfer, oder die Städte in der Größe Villingens in ganz Deutschland untersuchen, so wäre ein aussagekräftigeres Ergebnis zwischen den unterschiedlichen Strukturen besser sichtbar als im Verhältnis von 1/24. Doch reicht ein Vergleich gerade deshalb, weil Villingen nachweislich mit diesen Ortschaften im Jahre 817 genannt wurde und sich mit ihnen bis heute städtebaulich entwickelt hat.

Bei den nachfolgenden Strukturskizzen bedeutet die Farbe Grün, der Umriss der Anlage, die Farbe Blau die Hauptstrasse (n) und Orange das Nebenstrassensystem.


Hondingen

Wo die Manse (Hofgut) des Weifari zu Hondingen (B14) in der gezeigten Skizze, von 817 sich befand, läßt sich heute nicht mehr sagen. Es ist jedoch sicher, daß es ein solches Hofgut gab, welches diesem Weifari gehörte und welches gleichzeitig mit Ausgangspunkt war, für die bauliche Entwicklung Hondingens. Die Unwissenheit wieviele Gebäude Hondingen im Jahr 817 besaß gilt ebenso für die folgenden Orte die beschrieben werden. Hierbei ist nicht wichtig wieviele Gebäude um das Jahr 817 Hondingen und die nachfolgenden Orte besaß, sondern zu welcher Form sich dieser Ort entwickelt haben.

Hondingen

(B 14)

Hondingen hat sich bis heute zum Straßendorf entwickelt. Die Hauptstraße ist leicht zur Nord-Südachse geneigt und beidseitig bebaut. Auf der westlichen Seite dieser Hauptstraße sind zwei halbkreisförmige Wege die an die Hauptstraße anschließen und ebenfalls beidseitig bebaut sind. Die Bebauung kann man nachzusehen auf einer topografischen Karte. Auf der Ostseite der Hauptstraße schließt ein Y-förmiges Wegesystem an die Hauptstraße an und an die Verbindung der halbkreisförmigen Wege gegenüber und bildet damit eine Kreuzung. Auf der östlichen Seite befindet sich die Kirche. Auch südlich kreuzt eine Straße die Hauptstraße. Allerdings ist sie nur auf der westlichen Seite bebaut. Die gesamte Bebauung ist dadurch geprägt, daß die Häuser mit Abstand zum Nachbarn gebaut wurden.


Klengen

Sicherlich gilt auch für Klengen (B15), daß die Manse von 817 nicht mehr feststellbar ist, übrigens auch für die nachfolgenden untersuchten Orte.

Klengen

(B 15)

Klengen hat sich weitaus stärker entwickelt, als Hondingen. Die Entwicklung war sicherlich begrenzt durch die westlich gelegene Bahnlinie, was dazu führte, daß der Osten von Klengen stärker bebaut wurde. Die Kirche liegt an der Landstraße die leicht geneigt ist zur Nord-Südachse. Das Wegenetz weist unterschiedlichen Charakter auf. Westlich zur Haupt- bzw. Landstraße befinden sich drei Straßen die sich parallel zu ihr entwickeln. Desweiteren zeigen sich Stichstraßen die rechtwinklig zur Landstraße anschließen. Östlich der Hauptstraße ist der Ort gekennzeichnet durch meist gekrümmte Straßen. Auch in Klengen ist die Bebauung durch "Lücke" fixiert.

Die äussere Form ist ebenfalls wie in Hondingen als amorphe Form gekennzeichnet. Die Bahnlinie wirkt als gerade Begrenzung. Nach Osten sind die topographischen Gegebenheiten in den Dorfstraßen sichtbar.


Bissingen

Bissingen (B 16) ist heute als Straßendorf ablesbar. Beidseitig der gekrümmten Hauptdurchgangsstraße sind die Gebäude aufgereiht. Wie bei den meisten gezeigten Dorfstrukturen bildet die Kirche als zentrale Versammlungsstätte, die ehemalige Ortsmitte.

Bissingen

(B 16)

Das Dorf hat sich sicherlich vom ehemaligen kleinen Haufendorf (rechts der jetzigen Durchgangsstraße) zum jetzigen Straßendorf entwickelt. Die Hauptstraße ist leicht gegenläufig gekrümmt. Im Nebenstraßensystem ist keine Ordnung zu erkennen. Die äußere Form ist wie bei den vorigen Untersuchungen als amorphe Struktur zu erkennen.


Schörzingen

In Schörzingen (B 17) kann man sehr gut den 3- Wegeknoten sehen, der das gekrümmte Hauptstraßensystem bildet. Im Nebenstraßensystem ist ebenfalls kein Ordnungssystem.

Schörzingen

(B 17)

Die Kirche liegt ein wenig abseits von der Hauptstrasse. Der die 3- Wegeknoten bildenden Straßen von Schörzingen sind leicht gekrümmt. Schörzingens Außenbegrenzung ist ebenfalls als amorphe Struktur anzusehen.


Weilersbach

Weilersbach (B 18) hat sich zum Haufendorf entwickelt. Die Kirche befindet sich am Dorfrand an einem 3-Wegeknoten. Die gekrümmten vorhandenen Hauptstraßen bilden Verzweigungen.

Weilersbach

(B 18)

Das Nebenstraßensystem ist im östlichen Teil von Weilersbach ausgebreitet. Die äußere Form von Weilersbach ist wie die vorgegangen Formen als amorph zu bezeichnen.


Tuningen

Auch in Tuningen (B 19) haben sich zwei sehr deutlich erkennbare Drei- Wege- Knoten gebildet. Die Dorfkirche steht in unmittelbarer Nähe der östlichen Wegezusammenführung.

Tuningen

(B 19)

Das Hauptstraßensystem ist durch Knicke gekennzeichnet. Auch in Tuningen richtet sich das Nebenstraßensytem an der jeweiligen Hauptraße aus. Insgesamt ist Tuningen als Haufendorf zu erkennen. Auch die äußere Form Tuningens ist amorph.


Nordstetten

Nordstetten (B 20) hat sich wahrscheinlich nicht wesentlich weiter entwickelt, als wie es sich um das Jahr 817 darstellte. Eine Bebauungstypologie ist nicht erkennbar.

Nordstetten

(B 20)

Der Weiler Nordstetten wurde sicherlich durch die Nähe zum ehemaligen "Alt-Villingen" und später zum historischen Villingen in seiner Entwicklung gehemmt. Die Hauptstraßen erinnern an einen 3- Wegeknoten. Das Nebenstraßensystem ist nicht vorhanden. Auch Nordstetten, obwohl es sehr klein ist, besitzt eine amorphe äußere Form


Pfohren

Eigenartigerweise sind die Kirchen bei diesen kleinen Dorfstrukturen immer etwas am Rande, so auch in Pfohren (B 21). Wieder erkennt man eine Wegehierarchie mit den vielfältigsten Beziehungen einschließlich einer aus neuerer Zeit stammenden Umgehungsstraße.

Pfohren

(B 21)

Bei der Kirche oder umgekehrt liegt der 3- Wegeknoten. Auch in Pfohren sind die Hauptstraßen gekrümmt. Durch die stärkere Krümmung der Hauptstraße kann sich das Nebenstraßensystem nicht anpassen und sucht eine eigene Form. Ebenfalls ist auch bei Pfohren die äußere Form amorph.


Spaichingen

Spaichingen (B 22) ist eine Kleinstadt. Der 3-Wege- Knoten befindet sich wieder nahe der Kirche. In Spaichingen sind neben dem Hauptstraßensystem (Bildung des Dreiwegeknoten) zwei weitere Nebenstraßensysteme.

Spaichingen

(B 22)

Man kann in größeren Strukturen die einzelnen Phasen der Stadtbebauung gut ablesen. Der Unterschied zwischen Produktion (Industrie) und Wohnen ist ebenfalls gut erkennbar. Die äußere Gestalt ist ebenfalls amorph.

Tannheim

Tannheim (B 23) stellt einen Sonderfall des 3- Wege- Knotens dar und zwar dadurch, dass der eigentliche Knotenpunkt ein Wegedreieck ist. Ansonsten ist Tannheim ebenfalls als Straßendorf gekennzeichnet. Die äußere Form ist amorph.

Tannheim

(B 23)

Thalhausen

Thalhausen (B 24) ist sicherlich die kleinste Ansammlung von Gebäuden der untersuchten Ortschaften. Es besteht in erster Linie nur aus Wegen, wobei sich auch hier ein 3- Wege- Knoten gebildet hat.

Thalhausen

(B 24)


Heimbach

Die Hauptstraße von Heimbach (B 25) knickt mitten im Dorf. Der eigentliche Dorfkern liegt nördlich dieser abknickenden Straße. Im Nebenstraßensystem ist ein 3- Wegeknoten erkennbar. Die äußere Form ist durch mehrere Ausbuchtungen gekennzeichnet.

(B 25)


Buchheim

Buchheim (B 26) hat sich zum Haufendorf entwickelt. In Buchheim hat sich eine Straßenkreuz entwickelt deren Straßen jedoch nicht senkrecht aufeinander stehen und die gekrümmt sind.

Buchheim

(B 26)

Das Nebenstraßensystem ist geometrisch losgelöst von den beiden Hauptstraßen. Zwischen der Bebauung haben sich Freiräume erhalten. Die Umrisslinie folgt den Ausbuchtungen der sich entwickelten Bebauung.


Stetten

Die überörtliche Straße teilt das Dorf in unterschiedlich große Bereiche. Das Nebenstraßensystem im südöstlichen Teil von Stetten (B 27) läßt eine gewisse Rechtwinkligkeit erkennen. Stetten hat sich zum Haufendorf entwickelt. Auch in Stetten folgt die Umrisslinie einer amorphen Form.

Stetten

(B 27)


Markdorf

Markdorf (B 28) hat sich zur Kleinstadt entwickelt. Im Zentrum bei der Kirche ist ein kleiner
3-Wegeknoten erhalten. Die Straßenhierarchie ist deutlich ablesbar. Die Hauptstraßen folgen weitgehend gekrümmten Linien. Nur wenige Nebenstraßen sind geradlinig. Die äußere Form von Markdorf ist amorph.

Markdorf

(B 28)


Fischbach

Fischbach (B 29) ist in seiner Ausdehnung recht bescheiden geblieben. Das Straßendorf entwickelt sich entlang eines 3- Wegeknotens, an der auch die Kirche liegt. Die Bebauung ist auf Lücke ablesbar. Eine amorphe Form kennzeichnet auch die äußere Umrisslinie von Fischbach.

Fischbach

(B 29)


Kluftern

In Kluftern (B 30) zeigt sich eine Durchgangsstraße, deren Nebenstraßen von der Hauptstraße verzweigt abgehen. Die äußere amorphe Form ist klar erkennbar, auch bei der kleinen Größe von Kluftern.

Kluftern

(B 30)


Hütwilen

In Hütwilen (B 31) verläuft die Hauptstraße diagonal durch die Ortschaft.
Die Straße ist leicht gekrümmt. Das Nebenstraßensystem ist gekennzeichnet durch eine vorwiegend gebogene Linienführung. Auch hier ist die äußere Form amorph.

Hütwilen

(B 31)


Kesswil

In Kesswil (B 32) sind ein Dreieck und ein Parallelogramm im Straßensystem zu erkennen. Die Hauptstraßen sind vorwiegend gekrümmt. Auch die Bebauung ist als offen zu bezeichnen, wie dies in den vorigen Orten ebenfalls der Fall war. Auch in Keeswil ist die äußere Gestalt amorph.

Kesswil

(B 32)


Landschlacht

Landschlacht (B 33) ist ein kleines Haufendorf, in dem sich ebenfalls ein 3-Wegeknoten entwickelt hat. Das Nebenstraßensystem ist aus einer Straße gebildet. Die amorphe Form ist auch bei diesem kleinen Dorf zu erkennen.

Landschlacht

(B 33)


Zihlschlacht

In Zihlschlacht (B 34) ist eine Straßenkreuzung wahrnehmbar, wobei die beiden das Kreuz bildenden Straßen gekrümmt sind. Die Nebenstraßen schließen an die Hauptstrassen an, so dass sich ein Verzweigungsmuster zeigt. Die Bebauung folgt den Krümmungen. Die äußere Gestalt ist ebenso amorph wie bei den vorhergehenden Orte.

Zihlschlacht

(B 34)


Ifwil

Ifwil (B 35) hat sich zu einem kleinen Straßendorf entwickelt.

Ifwil

(B 35)


Tänikon

Tänikon (B 36) hat sich ebenfalls zu einem kleinen Straßendorf ausgebildet.

Tänikon

(B 36)


Schwenningen

Schwenningen (B 37) bei Beuron im Donautal, aber auch der Stadtteil Schwenningen der Großen Kreisstadt Villingen-Schwenningen, reklamieren jeweils für sich, daß sie in der o.g. Urkunde von 817 genannt sind. Schwenningen bei Beuron hat als Haufendorf eine ähnliche Struktur wie die bisher vorgestellten Dörfer.

Schwenningen

(B 37)

Der Stadtteil Schwenningen der Großen Kreisstadt ist deshalb von Bedeutung, da er mit dem Stadtteil Villingen hinsichtlich seiner heutigen Größe in etwa vergleichbar ist und er sich zeitgleich entwickelt hat. Gerade in größeren Städten ist eine Betrachtung hinsichtlich eines zeitlich begrenzten Ordnungssystems bedeutsam. Die Straßenbreiten und die Baublockgröße bzw. Formen lassen entsprechende Hierarchien erkennen. Die Form des Baublockes geben uns Auskunft darüber, wie lange ein Grundgedanke einer städtebaulichen Formidee in der Realisierung angehalten hat bzw. umgesetzt wurde. In Schwenningen ist eine einfache auf dem klarsten geometrischen Element, nämlich dem Quadrat aufbauende Baustruktur (Gelb) zu erkennen. Südlich der Sturmbühlstrasse hat sich eine solche Struktur klar ausgeprägt.
Auf einem Plan des Oberamtes Tuttlingen aus dem Jahre 1838 ist diese quadratische Struktur mit 5 Baublöcken vorgegeben. Immer dort, wo wir euklidsche geometrische Elemente erkennen, in der Regel bis zum Jahr 1900, kann man davon ausgehen, dass diese Strukturen geplant und gedacht sind und damit entworfen wurde.
Das Hauptstraßensystem ist durch Verzweigungsnetze (Y) geprägt, wobei auch 3- Wege-knoten vorhanden sind. Die außerhalb des ehemaligen Dorfkernes gelegenen Nebenstraßen richten sich an den Richtungen der ihnen angrenzenden Hauptstrassen aus. Gut zu sehen ist dies bei der oben genannten Sturmbühlstraße und der Neckarstraße. Aber auch die Abknickung der Alleenstraße zur Salinenstraße zeigt, wie das Nebenstraßensystem die Richtungen der zueinander abbiegenden Hauptstraßen aufnimmt.

Auch der Umriss Schwenningens nimmt eine amorphe Form an.


Villingen

Villingens bauliche Entwicklung (B 38) ist ebenso wie die vorgenannten Dörfer und Städte gewachsen. In der Mitte der Gesamtbebauung ist ein kleines Oval mit einbeschriebenem Straßenkreuz (Gelb) zu erkennen, das in seiner äußeren Erscheinung klar in Erscheinung tritt und sich damit von der umgebenden und gewachsenen Bebauung abgrenzt und loslöst.

Villingen

(B 38)

Eingebunden wird dieses Oval in das übrige Stadtsystem nur durch 3 Hauptstraßen. Im südlichen Bereich übernimmt diese Aufgabe eine Nebenstraße (Färberstraße- Warenburgstraße).
Das Straßensystem im Oval ist, aufbauend auf einem Straßenkreuz, gegliedert.
Ausserhalb des Ovals sind ähnliche Verzweigungssysteme zu erkennen wie bei den vorgenannten Orten. In Villingen sind die einzelnen Baugebiete sehr gut sichtbar.

Auch Villingens jetzige äußere Form ist amorph. Die Kernstadt jedoch bildet ein Oval mit einem einbeschriebenen Straßenkreuz


Zusammenfassung

Gemeinsam mit Villingen haben sich diese 24 Orte vom Jahre 817 aus entwickelt. Wir könnten noch einige Tausend Ortschaften untersuchen und würden sicherlich zu gleichen Merkmalen gelangen, wie wir sie in den 24 Ortschaften aufgezeigt haben. Von der Größe Nordstettens bis zur Größe Schwenningens sind ähnliche Elemente in diesen gewachsenen Strukturen erkennbar. Die Ausgangsgröße ist nicht bekannt und für eine gewachsene Form auch nicht entscheidend. Die äußere Ausformung nimmt immer eine amorphe Figur an. Das innere Nebenstraßensystem zeigt die unterschiedlichen Facetten der Verzweigungssysteme. In fast allen Ortschaften sind deutliche 3- Wegeknoten zu erkennen die ein wesentliches Merkmal einer gewachsenen Stadt- bzw. einer Dorfstruktur sind. Desweiteren sind die Straßen die den 3- Wegeknoten bilden in aller Regel gekrümmt.

Eine gewachsene Stadtstruktur ist somit an fünf wesentlichen Erkennungsmerkmalen zu identifizieren.

· Der 3- Wegeknoten der in der Nähe der Kirche liegt und als übergeordnetes gewachsenes Erkennungszeichen gilt.
· Gekrümmte Hauptstraßen die auch den 3-Wegeknoten bilden
· Ein Nebenstrassennetz welches als Verzweigungssystem ( z.B. Bifurkationsdiagramm) anzusehen ist.
· Das Nebenstraßensystem hat zum Hauptstraßensystem keine geometrische orthogonalen Bezüge.
· Die äußere amorphe Form.

Sicherlich sind bei nicht allen Ortschaften alle 5 Merkmale vorhanden, sondern vielmehr ist das eine oder andere Merkmal mehr oder weniger stark ausgeprägt oder fehlt ganz.


E= mc²

Einstein


Gedacht

Wenn es ums Denken geht, assoziierten wir in der westlichen Welt sofort die Namen Aristoteles, Platon, Epikur, Pythagoras, Kant etc. etc. Dieses hat sich gewandelt, denn die Naturwissenschaften haben den Philosophen den Rang abgelaufen. Glaubt man den Umfragen wer der größte Denker des 20. Jahrhunderts sei, so wird der Physiker Albert Einstein mit weitem Vorsprung genannt. Durch seine Vorhersagen folgen die bisherigen geraden Lichstrahlen nun dem aufgrund der Masse gekrümmten Raum. Raum und Zeit bilden nicht mehr die absoluten Größen, sondern sind über die Geschwindigkeit miteinander verbunden. Eine Uhr auf dem Mount Everest tickt schneller als bei uns in Villingen. Die Formel E=mc² steht für die Atombombe und für die friedliche Nutzung der Kernkraft.

Die Pythagoräer spalteten sich auf in die Mathematiker und die Akousmatiker, weil die Akousmatiker die irrationale Zahl der Wurzel 2 nicht akzeptierten.

Während Mozart seine Werke aus dem Bewußtsein aufs Papier bringt und unverändert läßt, arbeitet Beethoven seine Werke in mehreren Jahren in verschiedensten Varianten harmonisch und melodisch aus.

Die Philosophie der Griechen prägt bis heute und wird immer unser Denken beeinflussen. Pythagoras` Lehrsatz (anscheinend ägyptischer Ursprung) wird im Schulunterricht bzw. wurde auch in den vergangenen Jahrhunderten gelehrt. Seine musikalischen Kenntnisse und Vorgaben sind heute weniger bekannt, haben aber die musikalische Entwicklung bis Mersenne (pythagoräisch-temperiert) geprägt.

Platons Ideenwelt regt zum Denken an. Bei den Goldenen Versen des Pythagoras wird man nachdenklich.

Die Bergpredigt sollte Vorbild der christlichen Welt sein.

Ein Musikwerk gehorcht gewissen Gesetzen. Rhythmik, Melodik, Harmonik bzw. welchem System die Töne gehorchen sollen.

Sowie das ägyptische Seil mit 12 Knoten mit gleichem Abstand den pythagoräischen Lehrsatz repräsentierte und man damit die Feldgrößen für einen gerechten Ackerbau festlegen konnte, war, ist und wird die bekannte pythagoräische Gleichung auch in der Lage sein, komplexe astronomische Berechnungen ermöglichen.

Wird man den Schwierigkeitsgrad der Werke von Mozart nicht mit Albert Einsteins Gedankengebäuden vergleichen können?

Bei Einstein weiß man, daß er rund 10 Jahre an der allgemeinen Relativitätstheorie gearbeitet hat. Wie lange er an der Formel E=mc² gearbeitet hat, ist unbekannt. Jedoch bringt er mit seiner Gleichung etwas in Form.

Ebenso bringen Beethoven und Mozart ihre musikalischen Ideen in FORM indem sie sie in einer Notenschrift festhalten, um Sie später durch Musiker wiedergeben zu können.

Die heutige Zeit bringt ihre Ideen auf die unterschiedlichste Art und Weise in Form.
Rakete, Auto, Atomkraftwerk, Wecker, Fernseher, Radio, Musikstücke etc. etc., natürlich auch Gebäude, vielleicht auch einen Stadtteil den man als gedacht interpretieren kann, ein Wohn- oder Gewerbegebiet, aber niemals mehr eine "GANZE STADT".

Die Form einer gewachsenen Stadt oder eines gewachsenen Dorfes hat, wie wir gesehen haben, eine ganz bestimmte Struktur. Die Entwicklung eines Dorfes oder einer Stadt, ausgehend von einem 3-Wege-Knoten mit einer sich ergebenden Bebauung von Gebäuden, hat eine andere Qualität hinsichtlich der Komplexität, wie wenn die Gesamtanlage einer Stadt geplant und durchdacht werden muss. Welcher Vergleich mit den musikalischen oder naturwissenschaftlichen Disziplinen möglich ist, wird man sicherlich nie messen können.

Auf den topographischen Karten (M 1:25000) entdeckt man auch andere Strukturen, die sich offensichtlich von den gewachsenen Strukturen abheben. Läßt man seinen Blick über den mittleren Schwarzwald auf solch einer Karte schweifen , so entdeckt man z.B. bei Freudenstadt, dass sich innerhalb der gewachsenen Struktur etwas hervorhebt, was anderen geometrischen Gesetzen gehorchte bei der baulichen Umsetzung. Man sieht eine quadratische Struktur, welche wahrscheinlich den Ortskern darstellt. In der Rheinebene -in Karlsruhe- ist es eine kreisförmige bzw. radiale Struktur, in Mannheim wiederum eine quadratische. Bei diesen Städten wissen wir, dass es sich hinter diesen historischen Stadtanlagen um gedachte, d.h. entworfene und geplante Stadtstrukturen handelt.

Bei diesen Städten wird deutlich, dass da ein Baumeister, ein Architekt oder Stadtplaner am Werk war. Ähnlich einer physikalischen Formel oder einer Komposition sind beim Haus- und noch weit mehr beim Städtebau Randbedingungen zu beachten, um die Elemente eines Hauses oder einer Stadt richtig zuzuordnen.

Dies ist klar an der Form Villingens zu erkennen, da sie gedacht ist.


Betrachte Himmel, Erde, Meer und alles was da glänzt und kreicht und fliegt und schwimmt: alles hat Formen, weil es Zahlen hat; nimm sie fort und alles wird zunichte.....und frage, was im Tanz ergötzt, antworten wird die Zahl: Siehe ich bin`s. Betrachte die Schönheit des geformten Körpers: Zahlen sind im Räumlichen festgehalten. Betrachte die Schönheit der Bewegung im Körper: Zahlen gewinnen im Leben im Zeitlichen.

Augustinus


Gedachte Stadtstrukturen

Die Menschen und zwar alle brauchen Richtung und Orientierung. Dies war zu allen Zeiten so. Dies fängt an bei einem Rosenkranz der in der Hand gehalten wird, um die Verbindung zu Gott sicherzustellen. In Griechenland gibt es blaue Steine die den bösen Blick abhalten sollen. Manche finden ihr Seelenheil in der Anwendung von Kräutern. So wie ein Stein, ein Kraut, ein Rosenkranz, eine Diagnose dem Einzelnen Richtung und Orientierung geben kann, so kann ein Baumeister oder Architekt Richtung und Orientierung einem Bauwerk oder einer Stadt geben. Künstler (Maler, Musiker, Bildhauer etc.) geben Richtung und Orientierung, denn sie zwingen zur Auseinandersetzung, ob es uns gefällt oder nicht.

Waren die Pyramiden der Ägypter Abbild der damaligen Gesellschaftshierarchie? Wer hatte diese Idee und war verantwortlich für den Bau der Pyramiden. Oder war die Stufenpyramide eine versinnbildlichte Treppe, auf der der tote Pharao in den Himmel steigt. Waren die ehemals goldenen Pyramidenspitzen Symbole der gebündelten Sonnenstrahlen auf denen Pharao zu Re fährt. Oder aber war es nur ein einfaches bombastisches Grabmal, um die Ewigkeit des Herrschers darzustellen? Es könnte aber auch ein Symbol sein, um die Unvergänglichkeit der geometrischen Ordnung darzustellen.

Die Baukunst der Griechen von Knossos über Mykene zur Hochphase unter Perikles der Athenischen Akropolis fand allein in der Ausbildung der Säulen und Pfeilern einen Anspruch, der bis heute nicht erreicht ist. Welche Faszination geht aber von solch einem Bauteil aus? Ist dies nur Schönheit? Oder sind es die Legenden und Deutungen, die sich um solche Bauteile ranken.

Warum wurde die kretische Säule von oben nach unten verjüngt und nicht wie die dorische und ägyptische von unten nach oben?

In Mykene ist über dem Löwentor die Szene verewigt, indem 2 Löwen sich auf einen Sockel stützend eine Säule beobachten. Vielleicht sollen sie sie auch bewachen. Welchen Grund gibt es eine Säule zwischen 2 Löwen zu stellen? Was hat das für eine Bedeutung?

Warum hat der Parthenon an der Schmalseite 8 und an der Längsseite 17 Säulen. Angeblich soll doch gerade die Klarheit und Harmonie diesem Tempel innewohnen. Ein Verhältnis von 17 zu 8 repräsentiert jedoch keine Klarheit und auch keine Harmonie.

Die ersten christlichen Kirchen wurden als einschiffige Anlagen gebaut, um den Weg zu Gott zu markieren und aufzuzeigen. Die verschiedenen Stile im Laufe der Zeit von frühchristlich über Romanik, Gotik, Rennaisance,etc. bis heute haben dieses Thema in den verschiedensten Formen und Facetten baulich wiedergegeben. Eindrucksvollstes Beispiel in Deutschland ist der Kölner Dom da er in einem Stil über die Jahrhunderte gebaut wurde. Das Villinger Münster hat zumindestens 2 klar ablesbare Stile.

Heute können wir nur sehr schwer nachvollziehen, was man bei der Ausgestaltung dieser zeitlich zurückliegenden Gebäude und Bauteile gedacht hat und was zu ihrer Form führte und was diese Form letztendlich repräsentierte.

Was zu unserer modernen Architektursprache führte waren im wesentlichen 3 Grundsätze der Moderne, nämlich weniger ist mehr, die Form folgt der Funktion und der Anspruch auf Licht, Luft und Sonne.

Die heutige Architekturlandschaft ist äußerst vielschichtig und mannigfaltig geprägt. Grob einteilbar in Dekonstruktivismus, Postmoderne und die verschiedenen Strömungen der wieder auflebenden Klassischen Moderne.

Die zur Zeit praktizierte städtebauliche Handhabung geht zurück auf die von Corbusier angeregte Charta von Athen, in der gefordert wurde, dass die Stadtfunktionen getrennt werden sollen. Dies wurde in der Baunutzungsverordnung umgesetzt, die für jede Bebauungsplanung in Deutschland als Grundlage dient. Gerade bei den großen Stadtgebilden sehen wir die Kerngebiete, die ausfrasenden Wohngebiete im Randbereich der Städte und die hochverdichteten Gewerbe- und Industriegebiete.

Was alles im Zusammenhang mit Architektur oder Städtebau gedacht wurde, können wir niemals verifizieren. Allenfalls besteht die Möglichkeit anhand von Randbedingungen uns zu vergegenwärtigen, ob die bestehende Form, die wir untersuchen, gewisse Gesetzmäßigkeiten aufweist. Danach besteht die Möglichkeit uns zu entscheiden, welchem Typ von Stadtform bzw. Stadtstruktur wir den Vorzug geben, wie die untersuchte Form zuzuordnen ist. Dies gelingt am eindrucksvollsten anhand heutiger Stadt-Formen, die sich entweder auf gewachsene oder gedachte Anfangsbedingungen der sich entwickelnden Stadt zurückführen lassen.

Als erstes möchte ich mich auf Baden- Württemberg beschränken, in dem sich nach meiner Auffassung eine der eindrucksvollsten Stadtstrukturen befindet. Diese Auffassung bezieht sich sicherlich nicht nur auf Deutschland, sondern ganz zweifellos auch auf Europa.


Karlsruhe

Die erste dieser schönen Städte bzw. dieser gedachten Struktur ist Karlsruhe
(B 39).

Karlsruhe

(B 39)

Markgraf Wilhelm von Baden läßt Karlsruhe im 18. Jahrhundert als viertelkreisförmige Anlage dem heute genannten Fächer entstehen. Mittelpunkt dieser Kreisform ist der Schlossturm, von dem sich die Schlossanlage nach Süden unter einem Winkel von 90 Grad entwickelt. Begrenzt wird die Schlossanlage im Süden durch Nebengebäude wie Wohnhäuser, Speicher und Stallungen. Die ursprüngliche Anlage wird im Süden begrenzt durch eine Straße die von Westen nach Osten verläuft, und die die überregionale Anbindung der Schlossanlage sicherstellt. Wie bei Mannheim und Rastatt so ist der Ausgangspunkt für die Stadtentwicklung Karlsruhes das Schloss, das durch den Fürsten selbst oder einem Baumeister geplant wurde. Solche Schlossanlagen benötigten immer auch Dienerschaft, Knechte, Gehilfen, Ratsschreiber, Bauleute- bzw. Baumeister, die am besten in der Nähe des Schlosses untergebracht wurden. Aufgrunddessen kann man sicherlich zurecht vom Beginn einer Stadt sprechen.

Wie auch bei den gewachsenen Stadtstrukturen hat sich die Stadt Karlsruhe entwickelt . Die beiden Strahlen, die unter 90 Grad vom Schlossturm nach Süden ausgehen, bilden mit der ersten südlichen Querverbindung (Ost-West) ein fast gleichschenkliges Dreieck. Dies war der erste ursprüngliche Bebauungplan von Karlsruhe. Der restliche 3/4 - Kreis bildete den Grünbereich, der vorwiegend zur Jagd des Fürsten genutzt wurde.

Die Skizze zeigt bewusst, nur den unmittelbaren Bereich um die ursprüngliche städtebauliche Anlage. In einer topografischen Karte oder einem Stadtplan ist klar ablesbar, wie der Übergang von einer gedachten Stadtstruktur in eine gewachsene Stadtstruktur sich vollzieht und wie sich diese Übergänge gegenseitig zeigen.
Eine Eigentümlichkeit fällt auch in Karlsruhe auf. Wenn man sich innerhalb des Kreises auf die Bebauung konzentriert, stellt sich doch die Frage, wie man entlang dieser Strahlen (Straßen) zu bauen hat. Die heute noch ablesbare, ursprüngliche Bebauung richtete sich unmissverständlich an dem radialen System des Kreises aus. Wenn man nun die Bebauung im rechten und linken äußeren Kreis untersucht, so fragt man sich, warum man in einem radialen System eine orthogonale Bebauung zuließ. Es ist darauf zu achten, wie die ursprüngliche Bebauung im südlichen Bereich weitergeführt wurde. Dies ist jedoch nur anhand eines Stadtplanes oder einer topografischen Karte erkennbar.


Mannheim

Mannheim (B 40) wird ab 1698 im bis heute erhaltenen schachbrettartigen Grundriss wiederaufgebaut. Wie Karlsruhe gründet es auf einer fürstlichen Anlage, der Kurpfalz, von der sich aus die Stadt entwickelt.

Mannheim

(B 40)

Auf der Südostseite befindet sich das Schloss. Die Kontur der Anlage ist klar ablesbar, geometrisch ist die Anlage als Rechteck mit aufgesetztem Halbkreis zu definieren, die dann orthogonal durch das Straßensystem gegliedert ist. Die Stadt entwickelt sich weiter, indem versucht wird, ebenfalls geometrische Strukturen weiterzuführen, was jedoch nur in der engsten Umgebung der Altstadt gelingt.

Je weiter man sich vom Zentrum entfernt, werden die Gesetzmäßigkeiten der gewachsenen Struktur auch in Mannheim deutlich.


Rastatt

Ebenfalls wie Mannheim und Karlsruhe gründet die planmäßige Anlage von Rastatt (B 41) auf einen Grafen, nämlich den Markgraf von Baden, der Rastatt im 18. Jahrhundert anlegte. Eine Eindeutigkeit wie Karlsruhe oder Mannheim ist in Rastatt nicht zu erkennen, wobei die gewachsene Struktur sich ebenfalls wieder zeigt, je weiter wir uns vom Zentrum, nämlich dem Schloss, entfernen.

Rastatt

(B 41)

Freudenstadt

Charakteristisches Merkmal für die städtebauliche Anlage Freudenstadts (B 42) ist ein großer, fast quadratischer Platz, um den sich blockartig die Bebauung schließt. Diese Bebauung wird in drei Schichten fortgeführt, so dass die Planstadt Freudenstadt dadurch ablesbar und erkennbar wird bzw. bleibt. Auch in Freudenstadt sieht man die Auflösung aus der gedachten in die gewachsene Stadtstruktur.

Freudenstadt

(B 42)


Milet

Eine schachbrettartige, quadratische Straßenführung kennzeichnet Milet (B 43). Die äußere Form wird durch eine Küstenlandschaft geprägt. Diese amorphe Form ist jedoch vor der Stadtgründung vorhanden. Die gedachte Stadt passt sich gerade nicht dieser Form an. Bei einer gewachsenen Stadt bildet sich diese Form.

Milet

(B 43)


Knidos

Knidos (B 44) ist klar als Rechteckform ablesbar. Unterstützt wird diese Stadteinteilung durch rechteckige Wohnblocks.

Knidos

(B 44)


Kyoto

Kyotos (B 45) äußere Form ist als Rechteck zu erkennen. Bedeutsam sind die unterschiedlichen Größen und Formen der Baublöcke. Rechtecke wechseln sich ab mit zweierlei großen Quadraten.

Kyoto

(B 45)


Manhattan

Unterschiedliche Vertikalbreiten und gleiche Horizontalbreiten ergeben für den Stadtgrundrissausschnitt Manhattans (B 46) verschiedenartige Baublockgrößen die alle jedoch als Rechteck zu definieren sind.

Manhattan

(B 46)


Zusammenfassung

Alle genannten und aufgezeigten gedachten Stadtstrukturen lassen eindeutige euklidsche geometrische Formen erkennen. Kreis- und Dreiecksform in Karlsruhe, Halbkreis mit zusammengesetztem Rechteck in Mannheim, zwei Rechtecke in Rastatt allerdings nicht so deutlich ausgeprägt, das Quadratmuster in Freudenstadt.
In allen gedachten Städten sieht man, dass das Straßensystem in erster Linie der geometrischen Grundform folgt und meist orthogonal angelegt ist, das heißt die Straßenzüge sind gerade und die sich kreuzenden Straßen stehen im rechten Winkel aufeinander (Ausnahme Karlsruhe- Radialstruktur). Die Haupt- und Nebenstraßen folgen dem gleichen geometrischen Muster. Das äußere Erscheinungsbild wird ebenfalls durch die gewählte euklidsche Geometrie wiedergegeben (Quadrat, Kreis, Rechteck).

Somit ergeben sich an den gezeigten Stadtstrukturbeispielen 5 Elemente für eine gedachte Stadt, bis ca. um das Jahr 1850.

- euklidsche äußere Form
- euklidsche innere Struktur
- die Hauptstraßen folgen dieser Struktur
- die Nebenstraßen folgen dieser Struktur
- gerade Straßen


Auch bei den gedachten Städten gilt, dass nicht alle Elemente in gleicher Weise vorhanden und ausgeprägt sind. Es gilt bei den gedachten Stadtstrukturen wie bei den gewachsenen Strukturen, dass nicht jedes der 5 Teilelemente vollständig ausgebildet sein muss. Vielmehr ist ein vollkommen ausgeprägtes Gebilde eher die Ausnahme und wäre nur ablesbar am Originalplan.

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