Teil 2
Weiche deiner Verantwortung nicht
aus: setze dich mit der Form auseinander. In ihr wirst du den Menschen
wiederfinden.
Luigi Snozzi
Villingen (Kernstadt)
Gewachsen oder
Gedacht ?
817
Villingen wird
in der Urkunde von 817 gemeinsam mit 45 Mansen (Hofgütern), bzw.
mit 26 Orten genannt. Die Formstrukturelle Entwicklung dieser 26 heutigen
Dörfer und Städte haben wir an 24 Beispielen beschrieben bzw.
aufgezeigt. Villingen von 817 lag auf der Ostseite der Brigach am heutigen
Friedhof. Das einzige Gebäude das heute noch existiert, ist der
Turm der Altstadtkirche aus dieser Zeit.
Somit sind zwei
Orte mit dem Namen Villingen nachweisbar. Welche Formstruktur dieses
"Alt-Villingen" besaß können wir heute nicht mehr
sagen, jedoch ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/24 damit zu rechnen,
dass "Alt- Villingen" eine gewachsene Formstruktur besaß.
Der Unterschied
zwischen gedachten und gewachsenen Strukturen liegt wie oben gezeigt,
in den verschiedenen Geometrien. Ob um 817 der jeweilige Ort 2, 15 oder
43 Gebäude besaß, ist unerheblich, denn es zählt einzig
und allein das Ergebnis des Entwicklungszuschnittes, der Entwicklungsstrukur
und der Form, welche sich bis heute entwickelte.
Dass Villingen
von den gemeinsam in der Urkunde genannten und untersuchten Orte, Dörfer
und Städte eine andere Stadtgeometrie besitzt, siehe auch Bild
49, ist offenkundig.
Was, aber war
der Grund, was war der Anlass? Was könnte der Anlass gewesen sein.
Die Idee für einen Plan. Die Idee für einen Stadtplan.
999
Die Ausführungen
über das Jahr 999 muss der Leser behutsam interpretieren, da ein
großer Teil Vermutungen von mir sind. Gleichzeitig muss er Sie
planerisch und ideenhaft in Beziehung setzen zu der Form, die Villingen
heute noch besitzt und abgleichen, ob Villingen gedacht oder gewachsen
ist. Kommt er zu dem Schluss, dass Villingen erdacht ist, stellt sich
die Frage nach dem geistigen und ideellen Hintergrund.
Über Graf
Berthold wurde viel geschrieben, gleichzeitig ist auch über ihn
recht wenig authentisches Material vorhanden. Eine Überlieferung
wäre jedoch für ihn bezeichnend.
Angeblich sei
Berthold mit der Marktrechtsurkunde dafür belohnt worden, dass
er wieder einen von Kaiser Otto III. wohlgesonnen Papst einsetzte. Denn
zur damaligen Zeit wurde der von Kaiser Otto III eingesetzte Papst von
Crescentius abgesetzt. Graf Berthold erhielt angeblich den Auftrag,
diesen nicht gewünschten Papst aus seinem Amt zu drängen.
Die Legende deutet an, dass Graf Berthold den amtierenden Papst rücklings
auf einem Esel durch Rom reiten ließ. Vorher wurden ihm die Ohren
und die Zunge abgeschnitten.
Dies zeigt, dass
Berthold ein Mann der Tat war und für diese Tat erhielt Berthold
ein Privileg.
Ist es deshalb
nicht möglich, dass Berthold Pläne schmiedete wie er dieses
Marktrechtsprivileg von Kaiser Otto III umsetzen konnte, wie er es nutzen
konnte. Was konnte man zu damaliger Zeit mit einem solchen Privileg
anfangen. Was war ein Marktrecht, die Einrichtung einer Münze und
das Recht Zölle zu erheben, was war dies Wert? Was war notwendig,
damit man diese Rechte auch umsetzen konnte und zwar optimal umsetzen
konnte? Wie konnte man dieses Privileg nutzen?
Versetzen wir
uns zurück in das Jahr 999. Kaiser Otto III. verleiht dem Graf
Berthold ein Privileg, "die Erlaubnis und die Gewalt seinem Flecken
Villingen einen öffentlichen Markt mit Münze, Zoll und der
öffentlichen Gerichtsbarkeit auf Dauer einzurichten. Gleichzeitig
wird dem Grafen Berthold auferlegt, dass folgendes zu beachten ist:
Jeder, der den besagten Markt aufsuchen will, möge sicher und in
Frieden dorthin gehen und auch wieder weggehen. Ohne Unrecht, Schaden
oder Verlust befürchten zu müßen., soll er seine Geschäfte
wahrnehmen, sei es Handel, sei es An- und Verkauf, oder welches Treiben
zu diesem Handel gehören mag . Und jeder, der diese hiermit festgelegte
Ordnung des Besagten Marktes auf irgend eine Weise zu verletzen, zu
stören oder zu brechen sich anmaßen sollte, muß wissen,
daß er dafür gemäß unserer öffentlichen Gerichtsbarkeit
eine Summe als Buße zu erlegen hat. Der Soeben genannte Graf soll
im übrigen nicht nur das Recht haben, den Markt in seinem Besitz
zu halten, sondern es sei Ihm auch gestattet, diesen weiterzugeben......."
Welche Elemente
besitzt dieses Privileg? Welche Randbedingungen ergeben sich daraus?
Erlaubnis zur
Gewalt
·
öffentlicher Markt
Erlaubnis zum Gelddrucken (Münze)
Zoll (Zusatzeinnahme)
öffentliche Gerichtsbarkeit
·
Sicher
Ruhe
Frieden
Unrecht
Schaden
Verlust
·
Handel
An- und Verkauf
zugehöriges Treiben
·
Buße
·
Vererbung des Marktes
Dieses Privileg
des Berthold ist die Errichtung eines Kleinstaates im Staat und gleichzeitig
ein Raumprogramm für eine Stadt.
Berthold besitzt
die Erlaubnis, die Gewalt sicherlich auch die Möglichkeit, einen
Markt zu errichten. Dies bedeutet, dass wenn er beabsichtigt dieses
Privileg umzusetzen, jedem der sich ihm widersetzt, ihm mit Gewalt entgegenwirken
kann. Einer der auf Geheiß seines Kaisers nach Rom reitet und
dem Gegenpapst das Ohr und die Zunge abschneidet und ihn rücklings
aus Rom treibt, der wird Gewalt gegen jeden anwenden, der sich gegen
die Errichtung des Marktes stellt.
Was ist notwendig
für einen öffentlichen Markt? Was wird dort verkauft? Wie
funktioniert ein öffentlicher Markt?
Um einen Markt abzuhalten bedarf es eines sicheren Platzes oder einer
sicheren Straße, damit die Händler ihre Waren anbieten können.
Verkauft werden die Waren, die von der umliegenden Bevölkerung
benötigt werden. Ein öffentlicher Markt funktioniert wie heute
durch Angebot und Nachfrage. Der größte Gewinn wird erzielt,
wenn Produzent, Händler und Zwischenhändler eine Person sind.
Um eine Münze
sicher betreiben zu können, ohne damit rechnen zu müssen überfallen
und ausgeraubt zu werden, bedarf es höchstmöglicher Sicherheit.
Sicherheit zur damaligen Zeit stellt man her, indem man sich einmauert.
Damit Zölle
erhoben werden können, bedarf es einer klaren Grenze mit festen
und gesicherten Über- und Durchgängen. Wie wird eine Stadtgrenze
mit Durchgängen erstellt?
Die öffentliche
Gerichtsbarkeit bedarf einer festen Ordnung, an der sich die Menschen
ausrichten können. Unsere heutige höchste staatliche Ordnung
ist das Grundgesetz und damit die Unantastbarkeit der Würde eines
jeden Menschen.
Gibt es ein Ordnungssystem
im Stadtgrundriß, das auf eine höhere Ordnung hinweist?
Die damalige Ordnung
für diesen Marktflecken war Sicherheit, Ruhe und Frieden für
den Handel, den An- und Verkauf und das zugehörige Treiben. Wie
stellt man Sicherheit, Ruhe und Frieden her?
In Ungnade fällt,
wer Unrecht, Schaden und Verlust gegen den Handel und An- und Verkauf
ausübt. Derjenige wird mit einer Buße belegt, die er an den
Grafen zu richten hat.
Der Graf hat ebenso
das Recht diesen Markt zu vererben.
Dieses sind die
Bedingungen die dieser Markt erfüllen darf bzw. muss, wenn er das
Privileg von Kaiser Otto III. erfüllen und umsetzen will.
· Marktplatz
bzw. Marktstraße
· Warenverkauf für die umliegende Bevölkerung
· Angebot und Nachfrage, Gewinn
· Sicherheit für die Münze
· Klare Grenze mit festen und gesicherten Übergängen
für den Zoll
· Übergeordnetes ablesbares Ordnungssystem
· Sicher, ruhig und friedlich handeln
· Keiner darf Unrecht, Schaden und Verlust erleiden
· Wer dagegen verstößt zahlt Buße
· Vererbung des Marktes
Ob Berthold oder
ein ihm bekannter Architekt oder Baumeister dieses teilweise Raum- oder
Funktionsprogramm in einen Plan umgesetzt hat, ist offen. Ein übergeordnetes
Ordnungssystem war genau so wichtig zur Verlegung der Stadt, wie die
Schaffung von klaren Zugängen, einer Marktstraße mit einem
friedlichen Handeln. Alle diese Randbedingungen sind noch heute im Historischen
Villingen ablesbar.
Ein weiterer entscheidender
Grund für die Verlegung der Stadt war das Wasser der Brigach. Nicht
wie man glauben mag allein wegen der Hygiene und dem Festungsgedanken
und weil es damals in den mittelalterlichen Städten zum Himmel
stank, sondern als Produktionsgrundlage des sich ansiedelnden Handwerks.
Die bisherigen
wissenschaftlichen Untersuchungen ergaben, dass die Landwirtschaft allein
die tragende Säule der "Ackerbürgerstadt Villingens"
gewesen sei. Wie funktioniert aber Landwirtschaft und Markt um das Jahr
1000? Kommen die Bürger aus der Umgebung Villingens um in der Stadt
auf dem Markt landwirtschaftliche Erzeugnisse zu kaufen? Ist es nicht
vielmehr so, dass die damals um Villingen siedelnde Bevölkerung
Landwirtschaft betrieb und der Absatzmarkt für landwirtschaftliche
Erzeugnisse äußerst dürftig war. Konnte man mit landwirtschaftlichen
Erzeugnissen wie Eier, Milch , Fleisch etc. allein einen Markt betreiben.
Ist es nicht so,
dass bis heute die Handwerkszünfte ihre Herkunftszeichen in der
Stadt hinterließen einerseits durch Fundstücke, andererseits
durch Namen. Gerber, Weber, Färber, Hafner und Zunftstube sind
die Namens- und Raumzeugnisse. Um 1500 kannte man 10 Handwerkszünfte
mit 34 Untergliederungen. Um 1294 treten die Handwerkszünfte zum
ersten Mal in den schriftlichen Überlieferungen auf. Das Villinger
Tuch war um 1300 der wichtigste Wirtschaftszweig und wurde wahrscheinlich
später abgelöst durch die Hafner (Hans-Kraut). Die Landwirtschaft
war somit Grundbestandteil und Rohstoffproduzent für die Handwerkszweige
Gerber, Färber und Weber etc.
Das Wasser, das
durch das produzierende Handwerk benötigt wurde, damit der Markt
funktionierte, war wesentlicher Mitgrund, weshalb Villingen an dieser
Stelle errichtet wurde. Zwar floss bei der Alt- Stadt ein kleiner Bach,
der jedoch die Wassermengen, die vom Handwerk benötigt wurden,
nicht transportieren konnte. Ein nicht zu übersehender Grund ist
die bessere Brandbekämpfung in der Nähe eines Flusses und
die Einleitung des Wassers in die Stadt.
Die Umsetzung
der o.g. Bedingungen in ein Raum- und Funktionsprogramm einer Stadt
ergeben die städtebauliche Formstruktur von allein, wenn man die
Formideale und die Symbolhaftigkeit der damaligen Zeit mit diesen Bedingungen
bzw. Funktionen verbindet.
In zahlreichen
Darstellungen ist das übergeordnete Ordnungssystem zu erkennen,
nämlich das Kreuz. Wer dieses Kreuz des Christentums au-nimmt,
der wird erlöst.
Bibelstellen:
Philipper 2: 7-9;
erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja, zum Tod
am Kreuz.
Matthaeus 10:
37- 39
und wer nicht sein Kreuz aufnimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht
würdig.
Mattheus 16: 23-25
Dann sprach Jesu zu seinen Jüngern: Wenn jemand mir nachkommen
will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir
nach.
Diese von anderen
zahlreichen Textstellen sind nicht erst seit heute bekannt, sondern
waren sicherlich nicht nur im Bewusstsein der damaligen herrschenden
Klasse, sondern ebenso in der Bevölkerung. Die Zeit Ottos des III.
war eine Epoche großer Ideen und großer Perspektiven. Für
das Jahr 1000 wurde das Weltende proklamiert, die Wiederkunft Christi
und das Jüngste Gericht.
Ist es deshalb
nicht denkbar, dass man in dieser Zeit eine religiöse eine christliche
Stadt idealisiert, entwickelt und baut, die die Erlösung des Menschen
verspricht? Ein Kreuzraum, in dem daran erinnert wird, daß jeder
sein Kreuz aufzunehmen hat, wenn er <IHM > würdig sein will.
So wie unsere Zeit durch die Moderene geprägt ist, so war um das
Jahr 1000 Europa durch das Christentum geprägt.
Kommen wir zu
dem Schluss, dass diese Stadt erdacht, geplant und nach einem Plan gebaut
wurde, wäre es ohne Zweifel denkbar, dass Graf Berthold oder einer
seiner Nachfolger diese Stadt Villingen aus einer christlichen Idee
geboren hat.
WARUM?
· Die bestehende
Stadt wird aufgegeben (Jetziger Friedhof).
· Die erweiterten wirtschaftlichen Möglichkeiten (Handwerker)
versprechen Wohlstand
· Das zur Produktion notwendige Wasser ist am neuen Standort
· Die "Neue Stadt" besitzt eine gedachte Stadtstruktur.
· Das Marktrecht mit seinen Bedingungen wird in der Stadt baulich
umgesetzt .
· Das übergeordnete Ordnungssystem des Kreuzes verspricht
Erlösung.
· Graf Berthold besitzt den Willen und die Macht die Stadt zu
verlegen
Dies sind sicherlich
die sieben wesentlichen Grundbedingungen, die für eine planerische
Umsetzung, für den Bau von Villingen in Frage kommen. Anhand des
heutigen Grundrisses werden Details aufgezeigt, die diese Randbedingungen
noch untermauern.
1800
Die Gedanken,
die zu einer Ideenfindung zur Stadtgestalt führen konnten, wurden
im vorigen Kapitel aufgezeigt. Die Figur Villingens hat sich in den
800 Jahren nicht wesentlich geändert, weshalb wir uns auf den Prozess
konzentrieren, in dem Villingen wesentliche Teile seiner Stadtbauelemente
verlor.
Die ersten bildlichen
Darstellungen Villingens stammen aus dem 16. Jahrhundert. Der eindeutigste
und genaueste historische Grundrissplan wird dem Festungsbaumeister
Gumpp (B 47) von 1692 zugeschrieben.
(B
47)
Der Grundrissplan
von Martin Blessing (B 48) aus dem Jahre 1806 und ein Grundrissplan
aus dem Jahre 2000 (B 49) dienen zur Beschreibung der vollständigen
Stadtgestalt die um das Jahr 1800 noch vorhanden war. Hier ist festzustellen
wie genau gerade Gumpp bei der Fertigung des Umrisses gearbeitet hat.
(B
48) (B
49)
Villingen ist
bis rund 1800 als vollständiges und einmaliges Stadtgebilde vorhanden.
Die Stadtgrundrisse von Gumpp, Blessing und einem heutigen aus dem Jahre
2000 markieren eine Zeitschiene, in der wir erkennen können, daß
Villingen eine Formstabilität besitzt die in gewachsenen Stadtstrukturen
nicht vorhanden sind, denn dort sind insbesondere die Ränder einem
dauernden Formwechsel unterworfen. Gleichzeitig werden die 3 Grundrisse
auf das Jahr 1800 focusiert um die Stadt in seiner vollständigen
Ausformung zu beschreiben.
Villingen ist
im Zeitalter der Romanik erbaut. Sicherlich hat Freiburg vielleicht
die schöneren und schmuckvolleren Tore, aber gerade das macht Villingen
aus. Der Vergleich zwischen einer dorischen und korinthischen Säule
gegenüber den beiden Torgestaltungen von Villingen und Freiburg
drängt sich geradezu auf. Der Spruch des "Weniger ist Mehr"
ist auch in Villingen gegenüber Freiburg anzuwenden.
Die vier Glieder
der Stadt: Das klare Straßensystem mit dem Hauptkreuz. Die Kleinteiligkeit
der Hausgruppen bzw. Parzellen. Die Großbauten der Kirchen und
Klöster im Kontext der sie umgebenden Gebäude. Die äußere
Form als Oval.
Dies kann nicht
über mehrere Jahrhunderte gewachsen sein. Für die klare Abgrenzung
der Villingen Stadtgestalt zwischen gedacht und gewachsen, müssen
wir vom Ganzen ausgehen und zu den Einzelelementen zurückführen,
die diese Stadt ausmachen. Gleichzeitig ist es wichtig, sich an die
24 Dorf-Stadtstrukturen zu erinnern, mit denen Villingen im Jahre 817
genannt wurde und die sich bis zu einem gewissen Zeitpunkt gemeinsam
entwickelt haben und ab einem gewissen Zeitpunkt verschiedene Formen
annahmen. Schon allein aus der Betrachtung der Stadtgrundrisse sind
elementare Unterschiede zwischen den 24 Orten und Villingen zu erkennen.
Wesentliches Unterscheidungsmerkmal sind die verschiedenen Geometrien.
Die dargestellten 4 badischen Planstädte, einschließlich
der weiteren bekannten Planstädte, sind aufgebaut mittels der euklidschen
Geometrie und der aufgezeigten 5 Erkennungsmerkmalen. Wachstumsstrukturen
einer Stadt, die sich über mehrere Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte
entwickeln, gehorchen wie gezeigt- anderen Gesetzen und entwickeln ebenfalls
eindeutige Erkennungsmerkmale.
Einige Details
in der Stadtstruktur Villingens sind so ausgeprägt, dass sie nur
auf eine geplante Stadt anstatt auf eine gewachsene Struktur zurückzuführen
sind. Diese werden im Anschluss aufgezeigt. Gleichzeitig deuten einige
Randbedingungen darauf, dass Villingen keinesfalls aus einem gewachsenen
Ort entstanden sein kann. Auch dies werden wir in die nachfolgenden
Betrachtungen aufnehmen bzw. damit beginnen.
Das Wesen des Raumes spiegelt
wieder, was dieser sein will.
Louis Kahn
Grundriss
Der Grundriss,
siehe Bild 49, ist das wichtigste Element eines baulichen Entwurfes,
denn wir bewegen uns nach Fertigstellung der Stadt auf ihm und durchschreiten
den von ihm vorgegebenen Raum. Aus der Fläche des Grundrisses wird
durch den Schnitt die Höhenentwicklung und die Gliederung des Materiellen,
das sich zwischen den Dingen wie Wände und andere Materialien ergibt,
festgelegt. Die Außenwand schließt den Außenraum mit
dem Innenraum ab und gliedert gleichzeitig die beiden Räume. Dies
gilt für ein Haus, eine Stadt oder ein sonstiges Objekt. Jegliche
Änderung im Grundriss hat Konsequenzen, die nicht immer sofort
erkannt werden. Auch in der heutigen Zeit. Ansichten von Häusern
aber auch von Städten dienen der Anschauung und können eher
verfälschen, als dies ein Grundriss zuläßt. In den beiden
Grundrissen von Blessing und Gumpp ist die Stadtanlage noch vollkommen
erhalten. Die vollständig erhaltene Stadtmauer mit vorgelagertem
"Rampun" mit innerem und äußerem Stadtgraben. Den
Toren vorgelagerte Erker. Das Niedere Tor, das Bügeleisen etc.
Die Stadtbäche, die am Niederen Tor zusammengeführt, wieder
in die Brigach fließen. Die Einzelelemente des Villinger Stadtgrundrisses
sind:
Oval
Die Stadt ist
in ihrer äußeren Gestalt (B 50) klar erkennbar, nämlich
als Oval mit einer eindeutigen, nach außen sichtbaren Grenze.
Verästelungen im Randbereich sind nicht erkennbar. In der gewachsenen
Stadt ist die äußere Form amorph. Dies ist gekennzeichnet
durch zahlreiche Ein- und Ausbuchtungen. Bei Villingen ist dies nicht
der Fall. Die Form ist "rund".
(B
50)
Am Oberen Tor
ist eine Eigentümlichkeit in dieser äußeren Form. Die
Stadtmauer schwenkt zuerst anstatt nach Süd- Westen nach Nord-
Westen, um dann später die eigentliche Richtung aufzunehmen. Die
ursprüngliche Form wird durch ein Zwei- Mauernsystem mit dazwischenliegendem
Wassergraben gebildet. Die innere Mauer ist noch teilweise vorhanden.
Sicherlich wurde dieses Mauernsystem als Verteidigungs- bzw. Festungsanlage
gebaut, die jedoch im Einklang mit der Gesamtstadt geplant war.
Ich wage zu behaupten, daß
die Architektur und der städtische Raum eine symbolische Denkweise
verlangt.
Kenzo Tange
Kreuz
Das Kreuz (B 51)
dient als übergeordnetes Bezugssystem und gliedert das Oval in
vier verschieden große Bereiche, in denen einerseits das Handwerk
und andererseits die Oberschicht angesiedelt war. Die das Kreuz bildenden
Straßenräume sind klar als Hauptstraßen zu erkennen
und formen den christlichen Raum dieser Stadt. Die Symbolik des Kreuzes
wurde seit ältesten Zeiten immer wieder verwendet und diente als
Sinnbild des Leidens, da die Ursache aller Qualen die Wirklichkeit der
Welt ist.
(B 51)
Bis heute wird
es gerade durch die Christen als bedeutungsvolles Zeichen getragen.
Auch andere Institutionen wie das Rote Kreuz und die Armeen tragen Kreuze
als Erkennungszeichen oder zur Auszeichnung.
Gegenstand der
Kunst wurde das Kreuz durch die Darstellung des Gekreuzigten, nachweisbar
seit dem 5 Jahrhundert nach Christus und zwar auf der Holztür von
S. Sabina in Rom. Im Kreuzigungsrelief (B 52) von Münchenwiler
sehen wir das Kreuz nicht in einer positiven Ausbildung, wie es in den
meisten Darstellungen des Kreuzes sichtbar wird, sondern als Negativform.
Das Kreuz selbst wird zu einem Raum, einem Kreuzraum, in dem Christus
aufgebahrt ist. Der Villinger Kreuzraum hat vielleicht die selben ideellen
Ursprünge.
(B 52)
In den vorgenannten
Textstellen der Bibel, die auch um das Jahr 1000 bekannt waren, wird
die Symbolik des Kreuzes bewusst.
Der Villinger
Stadtgrundriß wird in 4 Viertel-Orte geteilt. Davon hieß
einer Christenort. Die Namensnennung geht zurück auf das Jahr 1380.
Bebauung
Die Bebauung,
siehe auch Bild 49, ist in den 4 Stadtvierteln klar ablesbar. Die vier
Hauptstraßen und die Nebenstraßen geben mit ihren Fluchten
die Stellung der Gebäude zum Straßenraum vor. Das Münster
im nordwestlichen Viertel ist freigestellt und ist mit Abstand das größte
und bedeutungsvollste Gebäude in Villingen. Die umgebende Bebauung
läßt einen Freiraum zum Kirchengebäude. Darauf folgen
die Klostergebäude, die sich jeweils am Ende der vier Hauptstraßen
situiert haben. Die Tortürme bilden jeweils den Raumabschluß
der vier Hauptstraßen. Die Gebäudehöhen staffeln sich
nach den Straßenhierarchien. Das Münsterviertel mit der Kirche
ist der Oberschicht und dem Klerus vorbehalten. Außerdem war in
diesem Stadtquartier die Münze angesiedelt. Im Straßensystem
sind 3 Ordnungen abzulesen. Die Höhenentwicklung der Gebäude
folgt den Straßenhierarchien.
Straßensystem
Die beiden Straßen,
die das Hauptstraßenkreuz bilden, stehen an erster Stelle in ihrer
Bedeutung. Die Riet-Bickenstraße ist 5 Grad zur Ost-Westachse
geneigt. Die Niedere-Oberestraße ist mit 13 Grad aus der Nord-Süd-Achse
gedreht. Diese beiden Straßenfluchten sind am breitesten in Villingen
und bilden die 4 Hauptstraßen (B 53). Zu jeder der beiden im Winkel
von rd. 73 Grad stehenden Straßenverbindungen ist ein Parallelstraßensystem
mit Wohn- und Wirtschaftsgassen angelegt. Zur 2. Ordnung nach dem Hauptstraßensystem
gehören die Färberstraße und in der Verlängerung
die Kronengasse, ebenso die Gerberstraße mit anschließender
Bärengasse.
(B 53)
Zur 3. Ordnung,
die man im Villinger Straßensystem erkennen kann, gehören
anhand des Beispieles Hüfinger- bzw. Gerberviertels die Wirtschaftsgassen
Johannitergasse, Schlößlegasse, Schaffneigasse, Paradiesgasse,
Ankergasse und Goldgrubengasse.
Die Ordnungen
sind vorwiegend aus den Straßen- bzw. Gassenbreiten abzuleiten.
Ein- und Ausgänge
Die Straßenfluchten
(B 54) der Oberen Straße- Mönchweiler Straße, der Bicken-
Schwenninger Straße und der Riet- Vöhrenbacher Straße
stimmen mit der Inneren und Äußeren Flucht überein.
Bei der Niederen Straße ist eine Verschwenkung zwischen der Niederen
Straße und der ehemaligen Schwedendammstraße vorhanden.
(B 54)
Bachläufe
Das Bachsystem
(B 55) als Viehtränke, Badstube und Löschwasserbehälter
nutzbar wird von Gumpp am Riettor in die Stadt geführt, um über
das orthogonale Straßensystem verteilt zu werden. Gerade die Deckung
zwischen Bach- und Straßensystem macht eine genaue und kenntnisreiche
Planung erforderlich, denn auch heutiger Wasserbau (Kanal) baut vom
Tiefpunkt zum Hochpunkt, um das Gefälle entsprechend zu berücksichtigen,
was ein Hinweis darauf ist, von welcher Seite Villingen bebaut wurde,
nämlich von Süden.
(B 55)
Topographie
Die Stadt liegt
im Schwemmbereich der Brigach. Begrenzt durch den im Osten in einem
Bogen fließenden kleinen Fluss und im Westen begrenzt durch einen
Höhenzug, das Hubenloch. In der Nord- Süd- Linie steigt das
Gelände mit dem Gefälle der Brigach leicht an.
5 Merkmale
Erinnern wir uns
an die 5 Erkennungsmerkmale einer gedachten und einer gewachsenen Stadt
und vergleichen Villingen mit diesen beiden Formmöglichkeiten,
so ist klar erkennbar, dass Villingen einen gedachten Ursprung haben
muss.
Villingen Gewachsen
???????
(wäre Voraussetzung)
· Amorphe
äußere Form
· Verzweigungssystem
· Gekrümmte Hauptstraßen
· Nebenstraßensystem hat keine orthogonalen Bezüge
zu den Hauptstraßen
· 3- Wegeknoten
Beim Verbinden von Teilen
muß eins plus eins mehr als zwei geben.
Charles Moore
Villingen Gedacht !!!!!!!
(ist vorhanden)
· euklidsche
äußere Form
· euklidsche innere Struktur
· die Hauptstraßen folgen der euklidschen Struktur
· die Nebenstraßen folgen dieser euklidschen Struktur
· gerade Straßen
Bei Villingen
ist die äußere Form ein Oval, das als klares Gebilde zu erkennen
ist. Ein- und Ausbuchtungen wie sie bei gewachsenen Städten vorkommen,
sind nicht vorhanden.
Das Kreuz als
Hauptstraßensystem und gleichzeitigemübergeordnetem Symbol
entspringt ebenfalls einer Geometrie die dem Denken entspringt und nicht
gewachsen ist. Wenn es sich, wie vermutet, um eine Legende handeln sollte,
dann kann diese Legende nur ihren Ursprung im Denken und nicht in der
Realität haben.
Die Umgebungsbebauung
des Münster und damit die gleichzeitige Freistellung des Münsters
ergibt sich nicht, denn alle Kirchen aus den gewachsenen Strukturen
befinden sich in unmittelbarer Nähe der Straße bzw. dem 3-Wegeknoten.
Eine Freistellung wie es beim Villinger Münster vorliegt, gibt
es nur dann, wenn man solche Freiräume plant und gedanklich vorsieht.
Das Nebenstraßensystem
folgt parallel dem Kreuzraum (Hauptstraßen) und ist als Parallelstraßensystem
erkennbar, welches sich zum Hauptstraßenraum ergibt.
Die Haupt- und
Nebenstraßen sind gerade.
Die inneren Bachläufe
folgen dem orthogonalen Straßensystem.
Vergegenwärtigen
wir uns nochmal diese Merkmale am Villinger Stadtgrundriss, so wird
offenkundig, dass es sich bei Villingen um eine gedachte Stadtstruktur
handelt. Der weltliche Gedanke entsprang sicherlich den Möglichkeiten
die sich aus dem Privileg von 999 ergaben. Der übergeordnete Gedanke
war das Kreuz, welche die tiefe Religiosität, die damals vorherrschte,
wiederspiegeln sollte. Dieses Kreuz ist im Straßenraum als immaterielle
räumliche Erscheinung bis heute ablesbar.
Da bis um das
Jahr 1800 die neugegründeten Städte in der Regel auf die euklidsche
Geometrie zurückzuführen sind und die gewachsenen Städte
der Geometrie der Chaostheorie folgen, ist damit auch mathematisch-geometrisch
bewiesen, dass es sich bei Villingen um etwas Gedachtes handelt bzw.
handeln muss. Wer diese Stadt erdacht hat, dieser legendäre Bezelin
oder einer seiner Nachfolger wird man wahrscheinlich niemals ergründen
können.
Anhand der 5 Merkmale
konnten wir beweisen, dass es sich bei Villingen nicht um eine gewachsene
Stadt handelt. Was für eine gedachte Struktur besitzt aber Villingen?
Was für eine Stadt ist Villingen? Eine Idealstadt, eine Planstadt,
eine Gründungsstadt eine gedachte Stadt?
Eine Idealstadt
ist Villingen sicherlich nicht, denn Idealstädte gehorchen den
strengen Gesetzen der euklidschen Geometrie einschließlich einer
vollkommenen Symmetrie und Vollständigkeit. Die Schönheit
definiert Alberti als " Zusammenklang der Teile zu einem Ganzen,
das nach einer bestimmten Zahl, einer bestimmten Beziehung und Anordnung
aufgeführt wurde, wie es das Ebenmaß, d.h. das vollkommenste
und oberste Naturgesetz forderte." Dieser Satz von Alberti gilt
sicherlich nicht nur für Gebäude und deren Fassaden sondern
auch für Idealstadtgrundrisse.
Da es von Villingen
keinen Plan aus der Entstehungszeit gibt, kann man Villingen auch nicht
eine Planstadt nennen.
Ebenso ist von
Villingen kein Gründungsakt bekannt, weshalb sie keine Gründungsstadt
ist.
Und doch hat uns
der Vergleich der Entwicklung der Stadtgeometrien gezeigt, dass es sich
bei dieser Grundrissform um einen geistigen planerischen Akt handeln
muss.
Wenn man Villingen
jedoch genauer betrachtet und untersucht im Hinblick auf eine gedachte
Stadt, so fallen uns einige Eigentümlichkeiten auf.
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