Südkurier Villingen 19.08.2008
Bis 1806 vergingen rund 800 Jahre, in denen wir über den Stadtgrundriss
wissen, dass er vollkommen war. Ab 1800 begann man diese Vollkommenheit
zu zerstören. Die äußere Ringmauer wurde abgebrochen.
Die Wassergräben würden zugeschüttet. Die vor den Toren
befindenden Erker wurden beseitigt. Die innere Mauer zwischen Zinsergasse
und Gerberstraße wurde eingerissen, vorneweg durch den heimischen
Glockengießer Grüninger. Das Niedere Tor wurde im Verbund
zwischen Landes- und Stadtverwaltung abgetragen. Dieser gesamte Prozess
dauerte rund 70 Jahre, von 1806 bis rund 1870. Solche Zeitphasen wiederholen
sich, nur mit anderem Vorzeichen. Dabei werden andere Baukörper
und Elemente dieser Stadt geopfert. Damals benötigte man neues
Baumaterial und man wollte die Stadt nach Süden erweitern. Heute
werden Gebäude und Parzellen geopfert, um auf zusammengefassten
Grundstücken, Großprojekte mit entsprechenden Wirtschaftsflächen
zu verwirklichen, die der historischen Stadtstruktur entgegenstehen.
Man will zwar vordergründig das historische bewahren, aber nur
insoweit, als man die Wirtschaftsinteressen durchsetzen kann. Dabei
entstehen Fassadenbilder die einem Walt-Disney-Park (Obere Färberstr.
u.a.) gleichkommen und mit der Authenzität einer Stadt nicht mehr
in Verbindung gebracht werden können. Es gibt mannigfaltige Entwicklungen
in der Stadt, überzogene Heuaufzüge, überdimensionierte
Gaupen, Giebel- anstatt Traufstellungen der Dächer u.v.a, aber
keine dieser Entwicklungen ist so nachhaltig, wie die Verformung und
Transformation der Grundstücksparzelle. Wenn man in einem x-beliebigen
Baugebiet Grundstücke zusammenfasst, dann entstehen zwangsläufig
größere Gebäude. Will man dies auch für die Villinger
Kernstadt? Eines ist jedoch sicher. Wäre diese Stadt noch in ihrer vollkommenen und ganzen Form vorhanden, dann wäre sie ein Objekt, wie es als Einzelgebilde, als einmaliges Kulturerbe, unter den Schutz der Unesco zu stellen wäre. Die Kernstadt und ihre spezifische Form mit ihren Einzelelementen würde für sich sprechen. Das ist eindeutig und klar und zwar dann, wenn man sich die Stadt noch als Ganzes vorstellen kann und ihre Elemente aus dem Fundus kennt. Heute bräuchte die Stadt dagegen Fürsprecher, weil Sie aus sich heraus nicht mehr sprechen kann und immer weniger gehört wird. Der gesamte zu Villingen sich ergebende theoretische Sachverstand (Historie, Archäologie, Denkmalpflege, Architektur, Städtebau), müsste sich einer Aufgabe unterwerfen, den gesamten Fundus der Stadt aufzuarbeiten, um das Ziel eines übergeordneten und für alle geltenden Schutzes für die Stadt zu erlangen. Ein Weltkulturerbeantrag für Villingen. Die Hürde der Unesco ist zwar hoch. Sehr hoch. Vielleicht zu hoch. Vor allen Dingen dann, wenn allein die Parzellenproblematik, durch die Beteiligten anders gesehen wird. Deshalb kann niemand im vorhinein wissen wie ein Antrag beschieden wird. Wenn aber alle Details, wenn alle notwendigen Informationen "vorurteilslos" abgewogen sind, dann haben wir die Chance diese Hürde zu nehmen. Es wird schwer werden, vor allen Dingen wie die Vertreter der Unesco, den Abbruch und den außerhalb des Villinger Baugesetzes getätigten Wiederaufbau bewerten werden, die durch Unverständige vollzogen wurden. Aber auch Einheimische haben bis heute an diesem unverhältnismäßigen und zerstörerischen Wiederaufbau teilgenommen. Dies geht zurück bis zum Glockengießer Grüninger wie vorher genannt. So ein Antrag müsste durch alle Beteiligten getragen werden, insbesondere durch die Bürger und da habe ich meine Probleme, denn deren Vertreter haben signifikante Unterschiede in der Beurteilung dieser Satzung gezeigt. Ein Weltkulturerbeantrag bräuchte dagegen eine möglichst große getragene Wahrscheinlichkeit, dass dieser Antrag positiv beschieden wird. Het mer, dät mer; de Oma het immer gsait: " Ze Villinge kasch se Wasser au de Bach nab trage." Deshalb wenden wir uns von einer realistischen Vision eines Weltkulturerbe in unserer Zeit, einem weiteren Spruch zu, dass man aus einer Niederlage lernen kann. Dies mag für Personen gelten, wie mich, vor allen Dingen aufgrund stadtsprachlicher und damit beruflicher Gründe, aber nicht für Städte. Die nunmehr zeitlich legale bauliche Entwicklung, wird dafür sorgen, dass Villingen weiter zum Torso, zum Fragment einer einmaligen Stadt wird. Die Händler und Hauseigentümer, kurzum alle Verantwortlichen, die diesen genannten Bauprozess stützen, werden sich irgendwann fragen lassen müssen, weshalb Sie ein solches einmaliges Kulturgut, der schleichenden Zerstörung überließen. Die Italiener wissen, wie man mit alten Städten umgeht und wie man auch gut von und mit Ihnen qualitätvoll leben kann. Allerdings wird im Süden Europas das Neue behutsam zum Alten gestellt. Dies findet in Villingen nur teilweise statt. Die neue Zeitphase des baulichen Verkrebsungsprozess begann in der oberen Kronengasse, am deutlichsten sichtbar ist er im unteren Gerberviertel und strahlt mit seinen Metastasen im gesamten Kernstadtgebiet aus. Vergleichbar pflanzt man der Mona Lisa ein Glasauge ein, dem David wird ein Stahlbein verordnet und bei der Akropolis werden die Marmorsäulen durch Holzstützen ersetzt. Die Zeit für Villingen läuft ab, langsam, unerbittlich, schleichend und zerstörend. Was helfen, vielleicht auch heilen würde, wäre ein übergeordneter zwar noch visionärer Schutz, ein Weltkulturerbeantrag als Versuch, der ein zeitlich bestimmtes baukulturelles Zeichen für die Stadt als Kulturerbe und Stadtbaukunst setzen würde. Die Zeit läuft zwischen Kulturerbe und Kommerz. |
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